Ansicht von Powerscourt

Foto: Failte Irland und Hipold
Dürres Heidekraut, Schafmist, niedrige Hecken. Das kleine Grüppchen schreitet zügig voran, hier in den Wicklow Mountains, im Südosten Irlands. Der Schritt federt auf dem bemoosten Boden, während der Blick immer wieder nach oben geht, hinauf zu den sich zusammenballenden Wolken. Wer weiß, wann der nächste Regenguss kommt. Wer weiß, wann es wieder anfängt zu nieseln.

Jetzt, in der kälteren Jahreszeit, regnet es in Irland natürlich etwas häufiger als während der Sommermonate. Dafür ist die Insel aber beinahe touristenfrei - und ihre Aura um einiges mystischer als während des Rests des Jahres. Auch abseits ihrer schönen Wandergebiete. Irland im Winter, das ist nicht das, was man in unseren Breitengraden unter Winter versteht, dem warmen Golfstrom sei gedankt. Frost und Schnee haben Seltenheitswert - selbst in den für irische Verhältnisse hohen Wicklow Mountains, dem Naherholungsgebiet der Dubliner südlich von Irlands Hauptstadt, einem Landstrich, der kaum mit dem wilden Donegal, dem umwerfenden Connemara oder dem bereits zum Klischee verklärten Kerry vergleichbar ist.

Die Wicklow Mountains könnten beinahe englisch sein, so untypisch satt ist hier die Landschaft - und sie geizen doch nicht mit typisch irischem Charme. Kahle Hügelrücken und die vegetationsreichen Täler von Glenmalure, Glencree, Glenmacnass und natürlich von Glendalough: kein Wunder, dass nicht im fernen Schottland, sondern gerade in dieser Gegend das schottische Epos "Braveheart" gedreht wurde.
Die Ruinen, die in Glendalough von dem im 6. Jahrhundert vom Heiligen Kevin gegründeten Kloster übrig geblieben sind, liegen an zwei sanft ins Tal eingebetteten Seen. 500.000 Besucher, sagt man, verwandeln diesen Ort der Kontemplation jährlich in ein veritables Touristenzentrum: Um die Überreste der Klosteranlage, die im 16. Jahrhundert endgültig zerstört wurde, also den eindrücklichen Rundturm, die Steinkirchen und die schon tief ins Erdreich versunkenen Kreuze gebührlich würdigen zu können, muss man sich also schon einen kühlen, feuchten Tag für seinen Besuch wählen. Dafür wird es später am offenen Kaminfeuer in einem der zu Hotels umgebauten Herrenhäuser umso gemütlicher sein.

Die Wärme der irischen Behausungen (und der irischen Getränke), sie ist, wenn es draußen wieder einmal besonders unfreundlich zugeht, erst so richtig zu genießen - nach dem Besuch von Glendalough also oder des schönen Landgut Powerscourt, in dem es neben einer famosen Aussicht vor allem auch einen doch sehr besonderen Tierfriedhof zu bestaunen gibt: die letzte Ruhestätte von Shetland Ponys, Katzen und Hunden samt beinahe allzu menschlichen Widmungen auf ihren Gräbern.

Besondere Wärme empfängt einen im preisgekrönten Ballyknocken House unweit des kleinen Ortes Ashford. Die charmante Catherine Byrne führt in dem 1850 erbauten und prachtvoll renovierten kuscheligen Heim das Regiment - und den Kochlöffel. Wer schon immer von hartnäckigen Vorurteilen gegenüber der irischen Küche geplagt wurde, wer also trotz eines zünftigen Irish Stew auf der Insel kein kulinarisches Land in Sicht sah, kann sich hier eines Besseren belehren lassen. Catherines "Brown Soda Bread" (das Geheimnis sind das Soda und die Buttermilch) wird dabei sicherlich gute Dienst tun.

Vorurteile gegen die Insel abbauen, diesem Programm wird man sich in der reise-untypischen kalten Jahreszeit besonders intensiv widmen können. Man wird aber auch nicht wenige Urteile bestätigt finden: Die Pubs werden noch voller sein, als sie es ohnedies jahrein, jahraus sind, und es wird in ihnen gewohnt heiter zugehen. Beim geringsten Sonnenschein werden sich die Iren in Shorts werfen und mit blau gefrorenen Knien an der Bushaltestelle stehen. Und die Golfplätze werden natürlich auch im Winter rege besucht sein.

Sie sind der große Stolz der Region, allein im County Wicklow gibt es 20 von ihnen. Als "Garten Irlands" wird die Region in der Touristenwerbung gerne bezeichnet, und genauso sehen hier eben auch die Golfplätze aus. Penibel gepflegte Gärten, in denen die Tradition hochgehalten wird. Wobei ein kleiner Regen zwischendurch dem Handicap noch nie geschadet hat. (Stephan Hilpold, DER STANDARD, rondo/05/12/2003)