Ronald Pohl

Wien - Das Wiener Rabenhof-Theater, das sich um das Andenken an Werner Schwab bereits jetzt, noch vor dem kalendarisch gebotenen Silvester-Todestagstermin verdient macht, legt dem Abend Seele brennt! ein Kurzbrevier zum Thema Alkoholismus bei: Was den präalkoholisch Gefährdeten vom chronisch ausübenden Trinker unterscheidet, wird mit Blick auf Schwab ebenso treuherzig belegt wie der Anblick einer kolossal entgleisten Schwellleber.

"Zirrhose brennt!", brüllt dieses Dramaturgenprodukt, das von drei Vorlesenden auf der Bühne mit Proben tätiger Sedierung ergänzt wird. Von dem "Brachialdramatiker" geheißenen Schwab (1958 bis 1994) hat die Fama immerhin aufbewahrt, dass er dem Trunke über Gebühr zusprach - und irgendwie "Punk" war, da er an die gebräuchlichsten Hauptwörter die versachlichendsten Endsilben abstrahierend anhängte.

Alles klingt wie aus einem Jahrgangsband von Beamtenerlässen viertelfachsprachlich entlehnt. Vor die flutschenden Verben fädelte Schwab Vorsilben wie ein Sprachlandschaftsgärtner auf - man liebt in diesen mutierten Volksstücken nicht, man hat sich, wenn man denn muss, in etwas "hineinverliebt".

Man kann die rund 15 Dramen des Steirers Werner Schwab als Protokolle einer zügellosen, aber sprachlich aufgeschirrten Selbstentfremdung lesen: Kleine, sich um Kopf und Kittelschürze redende Volksmenschen plustern die Backen, bis sie platzen - ihr ungezügelter Mitteilungsdrang überflügelt auch die Spannweite jedes Pegasus.

Das magische Tier hat kein Kroetz, kein Sperr, kein Horváth, kein fassbinderesker Kraut-und-Blumen-Dichter aufgezäumt. Es bedurfte eines vorzüglichen Rabenhof-Abends, um Schwab wieder in die Wohnstube der Spaßbewegten zurückzuholen: mit zwei dosenbiertrinkenden FM4-Stars (Grissemann & Stermann), die einer grandiosen, ihren Schwab- und Selbstekel kräftig dosierenden, den Vorstadtsound fein abschmeckenden Kammerschauspielerin (Hilde Sochor) das gelegentlich bierrülpsende Geleit gaben. Ein berührender Vorleseabend mit elektronisch versaubartelter G'scherten-Musik (von Fritz Ostermayer): Die Menschen drängten sich in Erdberg.

Noch einmal, wie in dem Terzett aus den Präsidentinnen, tobte Schwabs krude Mischung aus postagrarischer Herkunftspflege und sprachlichem Landverschickungselend, komplett mit Gottesfürchtigkeit und Geschlechtlichkeitsleugnung, süß am Hörer vorüber.

Schwab, der wie das Gros der heimischen Theaterfachschreiber das Kapitel Brecht geschwänzt hat, dockt zum Ausgleich an unbegriffenen Avantgarde-Kontinenten an. Beinah unverschämt nahm er die Sprache nicht beim Gebrauchswert, sondern putzte sie mit Verschleißteilen heraus. Was aber ist aus dem Charts-Stürmer geworden, dem Vielschreiber, der in besinnungsloser Hast den Staatstheatern seine Stückhappen, einen nach dem anderen, vor die Dramaturgie-Zwinger warf?
In nackten Zahlen: Laut Sessler-Verlag laufen zurzeit gezählte acht Schwab-Produktionen im deutschen Sprachraum. Keine schlechte Zahl, wenn man bedenkt, dass sich damit die Produktionszahl gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat. Es gibt nostalgische Lieblinge wie die genannten Präsidentinnen, den Wirtshausschwank Übergewichtig, unwichtig: Unform, oder das künstlersoziale Herkunftdrama Volksvernichtung. Im Nachlass sollen noch einige Zettel liegen - nichts, was mehr als nur das Philologeninteresse übersteigt.
Es bleibt Schwab, der Heimatdichter, übrig: das Menetekel einer kaum lebbaren, in Suff und in Elend erstickenden Welt. Die sich auf den ganzen Plunder keinen Reim, aber ihre Vorsilben macht.