London - Der britische Europaminister Denis MacShane hat EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zum Rücktritt aufgefordert. "Es ist nicht akzeptabel, dass die Kommission einen Präsidenten hat, der nicht zu 100 Prozent seiner Arbeit nachkommt und stattdessen als Oppositionsführer gesehen wird", sagte MacShane der Tageszeitung "The Guardian" von Freitag. Ein Sprecher Prodis wies die Aussagen MacShanes umgehend zurück.

Die Kritik des als EU-freundlich geltenden MacShane an Prodi bezieht sich auf ein im November veröffentlichtes Schreiben des Kommissionspräsidenten, in dem er die italienischen Mitte-Links-Parteien zur Einigung aufrief. Prodi wurde für seine Einmischung in die italienische Innenpolitik heftig kritisiert. Der Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, sprach von einem "fragwürdigen" Verhalten. Prodis Intervention erfolgte gerade zu einer Zeit, während sein politischer Erzfeind Silvio Berlusconi als italienischer Ministerpräsident die EU-Präsidentschaft führt.

Das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Politikern war im Halbjahr der italienischen Präsidentschaft mehrfach auch öffentlich sichtbar geworden. So kam es bei der Pressekonferenz am Ende des EU-Russland-Gipfels in Rom zum offenen Streit, als Berlusconi zum deutlichen Entsetzen Prodis den russischen Präsidenten Wladimir Putin vorbehaltlos gegen jede Kritik verteidigte. In einem höchst ungewöhnlichen Schritt distanzierte sich die Kommission danach von den Aussagen des Ratsvorsitzenden.

Prodis Amtszeit endet Ende nächsten Jahres, aber bereits jetzt wird seine Kommission als nur mehr wenig handlungsfähig angesehen. Im Fall vorgezogener Neuwahlen in Italien im kommenden Frühjahr wird seine Rückkehr nach Italien als Berlusconi-Herausforderer erwartet. Geschwächt wurde die Kommission zuletzt auch durch die Entscheidung der EU-Finanzminister, Deutschland und Frankreich trotz fortgesetzter Verletzung des Euro-Stabilitätspakts nicht zu bestrafen.

Das britische Außenministerium wollte zu den Aussagen des als besonders freimütig geltenden MacShane nicht Stellung nehmen. Regierungsvertreter erklärten aber, es sei nicht offizielle Politik, den EU-Kommissionspräsidenten öffentlich zu kritisieren. Bekannt ist allerdings, dass auch Premierminister Tony Blair, der einst maßgeblichen Einfluss auf die Bestellung Prodis gehabt hatte, heute in vielen Fragen mit dem EU-Kommissionspräsidenten nicht mehr übereinstimmt. (APA)