Nehme man den Kandidatenstatus der Türkei ernst, so Fischler vor österreichischen Journalisten in Brüssel, müsse die Union auch mit künftigen Außengrenzen zur Krisenregion im Nahe Osten kalkulieren: "Es kann kein solches Unternehmen ohne Bezug auf die äußere Sicherheit geben." Ein erweitertes Europa mit 500 Millionen Bürgern werde zudem zwangsläufig in die Lage geraten, für die Mittelmeerregion Verantwortung übernehmen zu müssen. Dafür seien europäische Verteidigungsstrukturen eben unerlässlich.
"Wir müssen damit ja keinen Gegenpol zur Nato schaffen", relativiert der Kommissar. Und eine mit dem Nordatlantikpakt verknüpfte europäische Verteidigungslösung müsse auch nicht zwangsläufig als ein Instrument der US- Außenpolitik herhalten, wie etwa der grüne EU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber befürchtet. Fischler: "Da wird es natürlich Debatten mit den Amerikanern geben, aber sicher keinen Streit."
Den gibt es jedenfalls in Österreich. Und die Bundesregierung wird in Sachen Neutralität endgültig Farbe bekennen müssen, wenn Außenministerin Benita Ferrero-Waldner am kommenden Montag mit den EU-Außenamtschefs in Brüssel die letzten Details für den sicherheitspolitischen Teil der EU-Verfassung aushandelt, der den Regierungschefs vier Tage später beim Gipfel vorgelegt werden soll.
Besseres anbieten
In der Neutralitätsdebatte sieht Fischler einmal mehr eine "Tendenz, Fehler zu wiederholen": "Für den Durchschnittsösterreicher hat die Neutralität jahrzehntelang für Frieden gesorgt. Wie soll man jemanden davon überzeugen, dass etwas abgeschafft wird, ohne dass etwas Besseres dafür angeboten wird?"
Dass der Verfassungsentwurf generell die Zustimmung aller Staats- und Regierungschefs finden wird, ist für den Kommissar "keine g’mahte Wiesen". Er sei realistisch, die Chancen stünden fifty-fifty, dass die Verfassung beim nächstes Wochenende in Brüssel beschlossen werde. Ihm persönlich sei allerdings ein gutes Ergebnis im März lieber als ein verwässertes vor Weihnachten.