Wird ein Staat als Unternehmen geführt, kann von einem Volk nicht mehr die Rede sein. Der einzelne wird zum Angestellten und sein Vertragsverhältnis kündbar. Eingriffe in bestehende Dienstrechte, Abschaffung der Pragmatisierung und Privilegien ergeben sich daraus wie von selbst. Und machen auch den Konkurs des Staates denkbar. Zudem ist ein Unternehmen nicht den Mitarbeitern verpflichtet, sondern dem Profit.
Ein Staat, der nur noch Rahmenbedingungen stellen will, stellt diese vor allem für die Wirtschaft auf. Zeitgleich aber ist zu beobachten, dass der Zugriff auf den einzelnen durch den Staat zunimmt, durch die Erfindung immer neuer Steuern und Abgaben, Gesetze und Vorschriften, die den Lebensraum des einzelnen immer enger werden lassen, wobei heute Lebensraum und Wirtschaftsraum zunehmend synonym sind.
Es mehren sich die Bücher von erfolgreichen Unternehmern, Gewinnern, Topmanagern und Wirtschaftskapitänen die bereitwillig Einblick in das geistige Rüstzeug und das Weltverständnis der Profiteure von heute geben. Das geschieht folgerichtig, denn wo das Leben nur noch Kapital ist wird der Unternehmer zum Lebensberater. Ja mehr noch: er wird zum Heilsverkünder der "notwendigen Reformen" und eines "Umdenkens", das man den Politikern schon lange nicht mehr zutraut. Propagiert werden in diesen Büchern Konzepte der Harmonisierung und einer humanen Wirtschaft, die vor allem durch ihre Realitätsferne bestechen.
Hier ein Beispiel: Klaus Woltron, einer der erfolgreichsten Unternehmer und Topmanager Österreichs, Mitglied des Präsidiums des Club of Vienna, gilt als Vordenker und kritische Stimme im Pool der erfolgreichen Kalkulanten, der auch gerne als "Stimme der Wirtschaft" zu philosophischen und kulturellen Veranstaltungen eingeladen wird. Sein soeben erschienenes Buch Die 7 Narrheiten des 21. Jahrhunderts (€ 21,90, NP-Verlag) wird im Klappentext als "wegweisende und aufrüttelnde Analyse" annonciert, "die unmissverständlich klarstellt, dass jene sieben Verirrungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bereits den Charakter von Todsünden anzunehmen beginnen".
Im Vorwort zählt Woltron diese sieben Narrheiten - "des 21. Jahrhunderts" scheint doch etwas weit vorausgedacht - auf. Die da sind: Die Irreleitung; Der Ordnungswahn; Die Konstrukte; Die Feindbilder; Der Kult der Oberflächen (sic!); Die Einebnung und Die Verdrängung. Diese Liste gleicht auf den ersten Blick eher einer Stichwortsammlung, jedoch werden wir über die Notwendigkeit einer solchen Aufzählung belehrt, indem sich der Autor auf die acht Todsünden der katholischen Kirche bezieht, erstmals erwähnt durch einen griechischen Theologen, die durch Papst Gregor I. auf sieben reduziert wurden, des weiteren wird Hans Sachs, Meistersinger, angeführt und seine Auflistung der sieben Untugenden, dann "die Franzosen" die, wie erstaunt angemerkt wird, die Unkeuschheit nicht verwerflich fanden, und zuletzt Konrad Lorenz, dessen Buch nun doch schon vor bald 30 Jahren erschienen sei, doch "haben sich inzwischen die Schwerpunkte verschoben ...".
Wozu diese Herleitung über einen Zeitraum von knapp 2000 Jahren? Wozu diese Ahnenreihe? "Die 7 Todsünden" sind weder Kodex noch Thesen, sondern eine mehr oder minder beliebige Themensammlung. Die Herleitung wurde hier in aller Umständlichkeit angeführt, weil sie für das Buch symptomatisch ist. Vergangenes, Geschichte, Philosophen, Künstler - mit einem Wort: Bedeutendes und Bedeutungsträger werden vorgeführt, um das eigene Tun, den vorgetragenen Gedanken zu legitimieren. Thesen und Autor werden somit zum Ziel- und Endpunkt der Zitationen.
Fatal ist auch, wie dieses Andenken funktioniert. Erstes Kapitel, Zitat Nabokov: "Auch gewährt es ein inniges Vergnügen, wenn man sich das Rätsel der Entstehung des menschlichen Geistes erklärt, indem man eine sinnenfrohe Pause im Wachstum der übrigen Natur annimmt (...) die erst die Bildung des homo poeticus erlaubte - ohne den der sapiens niemals entstanden wäre". Darauf Woltron: "(...) Nabokov hat mit seiner eher dem Wunsch als dem Wissen entsprungenen Bemerkung den Kopf des Nagels (sic!) leider nicht getroffen. Nicht in einer sinnenfrohen Pause ... entstand der menschliche Geist, sondern mitten im Kampfgetümmel." Das ist schon ein bemerkenswertes Missverstehen. Aber es ist bezeichnend. Nabokov hat zwar von etwas ganz anderen gesprochen, aber das stört Woltron nicht dabei zu sagen, was er sagen will. Ähnlich verhält es sich mit den beiden oft zitierten Philosophen Nietzsche und Schopenhauer. Überall ortet Woltron einen Willen zur Macht und zum Sieg - bei gewöhnlichen Menschen ist er wohl eher durch die pure Existenzangst ersetzt -, ja er ortet ihn selbst bei Ameisen und Bienen, die, so der Autor, diesen Willen zur Macht und zum Sieg nicht gegen die eigenen Artgenossen, sondern gegen die Umwelt richten.
Das Buch endet mit einer Weltbeschreibung, die in den Augen jedes Systemverlierers, zu Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit in denen wir Asylwerber auf die Straße schicken, wie eine Beschreibung aus Gullivers Reisen klingen muss: "Es gibt zu essen und zu trinken im Überfluss, jedermann kann sich heutzutage auch einmal Lachs und Sekt leisten ... Die Medizin hat gewaltige Fortschritte gemacht, der Schmerz ist fast völlig besiegt ... Jedermann, der dies will, findet Schutz und Behausung, auch der Krumme und Elende ist versorgt ... Jedem Menschen steht buchstäblich die ganze Welt offen, wenn er nur will ... Fast jeder kann begütert werden, wenn er gewillt ist, sich anzustrengen."