STANDARD: Inwieweit ist die Geografie bereits zu einer Wissenschaft am und mit dem Computer geworden? Gehört der Kartograf zu einer aussterbenden Spezies? Strobl: Nein, ganz sicher nicht - aber nur wer sich schnell anpasst, bleibt hier im Geschäft. Die Nachfrage an Weiterbildung steigt laufend. An der Uni Salzburg haben in den vergangenen zehn Jahren 800 Absolventen das Fernstudium für Geoinformatik absolviert. Die Entwicklung war jedenfalls rasant: Vor 15 bis 20 Jahren gab es die ersten Experimente mit Computern, heute arbeiten Geografen und Kartografen fast nur computerunterstützt.

STANDARD: Was kann die Geoinformatik, was die Geografie nicht konnte?

Strobl: Durch die jetzige Rechnerleistung können wir Ortsdaten mit anderen Informationen verknüpfen und somit neues Wissen schaffen. Ein Beispiel ist das öffentliche Verkehrsnetz und die Bevölkerungsverteilung: Ich weiß, wo wie viele Leute arbeiten und wohnen, und kann daraus das Potenzial einzelner Haltestellen und Buslinien abschätzen. Das kann ich dann vergleichen mit der derzeitigen Auslastung und sehe so, ob sich einzelne Postbuslinien ohne Zuschuss vom Staat rechnen können. Solche Modelle können dann auch auf andere Infrastrukturnetzwerke übertragen werden.

STANDARD: Wo liegen interessante Geoinformatik-Märkte?

Strobl: Von der Raum- und Umweltplanung bis zu den Kommunikations- oder Stromnetzen. Und vor allem überall, wo Märkte liberalisiert werden. Denn dort herrscht durch die neue Konkurrenz ein starker Preisdruck. Hier kann "intelligentere" Geoinformation helfen, Netzwerke optimal und sicher zu gestalten. Gleichzeitig braucht man neue Modelle der Verrechnung. Beispielsweise zahlen die heimischen Energieanbieter für die Benutzung der Stromleitungen österreichweit gleich viel. In den Alpenregionen ist das Errichten und Warten des Netzes aber teurer, und es wohnen weniger Stromkunden dort. Um solche Unterschiede beziffern zu können und aufwandsgerechte Verrechnungssysteme zu entwickeln, nehmen wir die reale Geografie in digitaler Form zur Hand.

STANDARD: Gibt es noch weiße Flecken auf der digitalen Landkarte Europas?

Strobl: Über Satelliten- und Luftbilder ist es kein Problem, Karten zu erstellen. Dennoch sind die europäischen Karten abseits der Straßennetze noch eher grob. Denn die ganze Welt zu beschreiben ist in erster Linie eine Massenarbeit. Beispielsweise war ich beeindruckt, wie schnell China nun digitale Karten erstellt. Das ist aber kein Wunder: Da sitzen derzeit 1500 Menschen und digitalisieren Höhenlinien einer einzigen Provinz.

STANDARD: Das muss auch jemand finanzieren.

Strobl: Deshalb geht es in der nächsten Zeit darum, nachhaltig tragfähige Geschäftsmodelle zu finden. Derzeit wird vieles gratis im Internet zur Verfügung gestellt.

STANDARD: Um Dienste wie die Anzeige der nächsten Apotheke via Handy ist es aber eher ruhig geworden.

Strobl: Man hat das Fehlen akzeptabler Geschäftsmodelle sicher unterschätzt. Aber beispielsweise im Tourismus sind mobile Dienste schon denkbar. Touristen sind schließlich in Räumen unterwegs, mit denen sie nicht so vertraut sind. Doch um das sinnvoll einsetzen zu können, brauchen wir eine europaweit einheitliche Geodaten-Infrastruktur, basierend auf offenen Standards.

STANDARD: Wie weit sind digitale Karten bereits kompatibel? Strobl: Bisher konnte man sagen: Das Schöne an Standards ist, dass es so viele davon gibt. Aber es gibt Bewegung, beispielsweise durch die Initiative Open-GIS. Hier wird ein für alle zugängliches einheitliches Geoinformationsprotokoll entwickelt. Und mit der "Geographic Markup Language" (GML) gleich auch eine Art "Geografiesprache", in der festgelegt ist, wie die Information kommuniziert wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 12. 2003)