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Ein Polizist mit Spürhund am Tatort in Moskau

Foto: REUTERS/Vasily Fedosenko
Den Kreml vor Augen, zur Linken das Gebäude des Parlaments, die Staatsduma, richteten mutmaßliche Selbstmordattentäterinnen am Dienstagvormittag vor dem Moskauer Nobelhotel "National" ein Blutbad an: Sechs Menschen starben, 14 wurden teils schwerstens verletzt. Die Umstände der Tat deuten auf eine tschetschenische Spur hin.

"Hinter unserem Rücken hörten wir einen lauten Schlag. Wir kapierten anfangs gar nicht, was das ist. Dann aber der Fleischgeruch und der schwarze Rauch. Wir fielen hin und versuchten wegzukriechen", schilderten zwei Passantinnen im TV-Sender "Rossija" die Explosion. Auf dem Gehsteig vor dem Hotel lagen Leichen, auch die von zwei Attentäterinnen, eine war in Stücke zerrissen.

Die Behörden gingen von drei Attentäterinnen aus. Sie verfügten über ein Video, aufgenommen von der Überwachungskamera des Hotels "National". Am Nachmittag begann die Fahndung nach der mutmaßlichen Organisatorin des Anschlags: eine Frau kaukasischen Aussehens, zwischen 40 und 45 Jahren. Sie könnte den Sprengstoff ferngezündet haben.

Das Attentat ereignete sich zwei Tage nach den russischen Dumawahlen, bei denen die Kremlpartei und ihre nationalistisch-populistischen Verbündeten einen klaren Sieg davontrugen. Das Amt des Moskauer Bürgermeisters brachte den Anschlag direkt mit den Wahlen in Verbindung. Staatspräsident Wladimir Putin, der einen Zusammenhang mit dem Zehnjahresjubiläum zur russischen Verfassung am 12. Dezember herstellte, sagte, der Terrorangriff richte sich gegen "die Demokratie und die territoriale Einheit des Landes".

Die Behörden neigen zur Annahme, dass die Attentäterinnen den Sprengsatz bei der 150 Meter entfernten Duma zünden wollten, der Sprengsatz aber möglicherweise unbeabsichtigt vorher losging.

"Schwarze Witwen"

Wie aus Geheimdienstkreisen in Tschetschenien vor einer Woche in russische Medien durchsickerte, seien so genannte "schwarze Witwen" im Auftrag des tschetschenischen Warlords Schamil Bassajew bereits am 20. November in russische Städte aufgebrochen, um eine Serie von Terroranschlägen am Vorabend der Parlamentswahlen und zu den Neujahrsfeiertagen zu verüben. Zuvor seien sie in den Berglagern des Warlords technisch ausgebildet und psychologisch präpariert worden. Die zwischen 20 und 30 Jahre alten "Witwen" von Opfern russischer Antiterroroperationen in Tschetschenien seien in Fünfergruppen mit neuen russischen Pässen in Russland unterwegs.

Erst am Freitag hatte ein Bombenanschlag auf einen südrussischen Pendlerzug mindestens 44 Menschen getötet und über 150 verletzt. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2003)