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Das tanztheater homunculus spielt dem Publikum den Ball zu: Mit "Alles gelogen", das am Donnerstag (11.12.) Premiere hatte, sät es Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Bühnengeschehens. – Ein Probenbesuch und Gespräch mit Choreograph Manfred Aichinger, gemeinsam mit Nikolaus Selimov langjähriger Leiter der Homunculi.


Keine Minute vergeht in der wir nicht überprüfen: Wahr oder gelogen? - Vorgebrachte Entschuldigungen, Versprechungen, private Geschichten oder Nachrichten werden ständig hinterfragt, um sie in den Kategorien "wahr" oder "falsch" abzuspeichern. Dazwischen ist wenig Platz. Das Prüfen ist alltägliche Notwendigkeit und wer sich täuschen lässt eigentlich nicht über-lebensfähig. Selbst für das Lächeln, das wir im Vorbeigehen erhaschen, gilt: wahrhaftig oder gelogen? – Eine Frage, die sich im Theater so nicht stellt. Auf der Bühne wird schließlich gespielt.

"Alles gelogen", so das Spiel des tanztheaters homunculus, dessen Titel ganz ohne Satzzeichen weder Frage, Feststellung noch Beschuldigung ist - oder aber: von allem etwas. Denn die ZuschauerInnen entscheiden, inwiefern sie sich auf das Spiel mit Vertrauen und Misstrauen einlassen, ob sie das Gesehene bestätigen oder verneinen wollen. Das Dargestellte, so Choreograf Manfred Aichinger, bietet eine "Projektionsfläche für die Fantasie des Zuschauers". Die Assoziationsvielfalt, die die getanzten Bilder anbieten, wird auch dadurch gestärkt, dass Aichinger ohne zusätzliche Sprachebene auskommt.

Ohren zuhalten

"Die Beobachtung von Sprechtheater ließ mich unbefriedigt", erklärte Aichinger zum 20jährigen homunculus-Jubiläum 2001, die Faszination von Theater, das ohne Sprache auskommt. "Mich hat viel mehr interessiert, was zwischen sprechenden Menschen passiert, während ich mir die Ohren zuhalte. Was geschieht im Körper, welche Spannung wird zwischen den Menschen aufgebaut?" Im neuen Stück geht es ganz explizit um diese "unsichtbaren Momente": "Wie spiegeln sich Emotionen wider und wie bildet sich das physisch ab?", sind dabei zentrale Fragen.

"Blickmaschinen"

Der Körper und seine Wahrnehmung – sei es die eigene oder jene von außen - gibt daher den roten Faden für die Bilderfolgen vor, die gemeinsam mit den TänzerInnen entwickelt wurden. So thematisieren einige Sequenzen beispielsweise die Macht des Auges - kann dem Blick des Gegenübers standgehalten werden, wer verliert die Kontrolle und wann bricht er aus – während andere Szenen die Sensibilität der Hände und daraus ableitbare "Hand"-lungen fokussieren. – Aichinger gelang es, die einzelnen Elemente keineswegs schematisch, sondern energetisch miteinander zu verketten. So darf die streng analytische Ausgangsfrage nach der Lüge zugunsten fließender Assoziationen mitunter vergessen werden. Gelenkt werden die Assoziationen auch vom sehr klaren Sounddesign von Martin Kratochwil, dessen Kompositionen auf Wirklichkeit und Alltag zurückweisen. Auf die Frage mit welchem Ausgangsmaterial bei der Musik gearbeitet wurde, lacht Aichinger: "Aus dem Fernsehen. Dort, wo die Lüge stattfindet."