Matthias Sindelar (1903-1939), der seines schmächtigen Körpers wegen der "Papierene" genannt wurde, spielte 56 mal im Nationalteam, gewann mit der Austria zweimal den Mitropacup, den Vorläufer der europäischen Cupbewerbe, und galt in ganz Europa als ein Ästhet des Fußballspiels. Neuen Dokumenten zufolge soll er von der Arisierungspolitik der Nationalsozialisten profitiert haben.

Wien – Friedrich Torberg und andere fußballbesessene Kaffeehausliteraten wie Alfred Polgar beschrieben Sindelar als einen Wiener Helden des Widerstands, der (siehe Torbergs Gedicht) sogar den Tod als einen Akt der Entziehung vom Unbeschreiblichen erlitt. Polgar: "Der brave Sindelar folgte der Stadt, deren Kind und Stolz er war, in den Tod."

Sindelar starb am 23. Jänner 1939 mit seiner Freundin Kamilla Castagnola in deren Wohnung an einer Rauchgasvergiftung. Die Zeitschrift NU hat Dokumente erhalten, welche die Ansicht zu widerlegen scheinen, der Kicker habe das "Kaffeehaus Annahof in der Laxenburger Straße 16 im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten" des Juden Leopold Simon Drill redlich erworben. Das gut gehende, von Juden und Nichtjuden frequentierte Lokal setzte 1937 76.000 Reichsmark (8285 Euro) um. Kleiner Mokka: 60 Groschen.

Im April 1938 verbot der kommissarische Verwalter Franz Roithner, ein "langjähriger Parteigänger der NSDAP", "Ariern" den Besuch des Lokals, das sich zum Treffpunkt der Juden entwickelte, die von vielen anderen Cafés ausgeschlossen waren. Sindelar bewarb sich (mit handschriftlicher Erklärung, arischer Abstammung zu sein) im Juni 1938 bei der Arisierungsstelle um das Etablissement. Der Nationalkicker (56 Länderspiele) wurde von der NSDAP-Gauleitung als unterstützenswertes Mitglied der Gesellschaft apostrophiert und erhielt Unterstützung vom Fußballverband ("Deutsche Reichsliga Gau 17 – Fußball"), um dem "Interesse an der Vormachtstellung des deutschen Sports zu entsprechen".

Roithner setzte Drill unter Druck. Die Hälfte der jüdischen Kaffeehausbesucher und der Sohn des Besitzers landeten in Dachau. In die Enge getrieben musste Drill dem Verkauf zustimmen. Sindelar bot für das am 10. März 1938 mit 40.000 Reichsmark (plus 6000 RM für die Gewerbeberechtigung) veranschlagte Kaffeehaus 20.000 RM, erhielt den Zuschlag. 5000 RM waren ab 1939 in Raten zu zahlen, der Rest wanderte auf ein Sperrkonto. Da sich bei Drill urplötzlich Forderungen (Mitarbeiter, Steuer, Arisierungsabgabe, Krankenkasse) häuften, sah er keinen Pfennig und schlitterte in Schulden. Er wurde kurze Zeit später ins KZ Theresienstadt deportiert und starb dort. Drills Sohn wurde von Dachau nach Buchenwald verlegt, schließlich entlassen, er floh nach England.

Roman Horak und Wolfgang Maderthaner ("Mehr als ein Spiel", Verlag Löcker, ISBN‑3-85409-276-8) zitieren die Gauleitung, die Sindelar als "sehr judenfreundlich" bezeichnete. Sindelars Mutter Maria, die laut Gauleitung "für die Bewegung absolut nichts über hat" (NU), durfte das Café nicht weiterführen. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2003)