Wäre Schlingensief doch im Kino geblieben! Oder? Nachdem der heute 43-jährige Apothekersohn aus Oberhausen einige grandiose Highlights des deutschen Splatterfilms im Gefolge von Aktionismus und Fassbinder (Die 120 Tage von Bottrop) gedreht hat und deshalb von Filmförderungsstellen nicht mehr subventioniert wird, trägt er sein Leiden an der (Un-)Verfilmbarkeit der Welt und der Angst in die Theater. Oft begleiten ihn dabei "Behinderte".
Man könnte sagen: Jede seiner Inszenierungen - von 100 Jahre CDU über die Wiener Container-Aktion Ausländer Raus bis herauf zu Bambiland am Burgtheater - ist ein nie gedrehter, be- oder verhinderter, nur in Fragmenten ermöglichter Film. Ein Film, der so viele Schwarzkader hat, dass das Publikum die Leerstellen mit eigenen Bildern füllen muss. Das macht Angst. Manchmal krallt sich diese Angst an Schlingensief-Slogans wie "Tötet Helmut Kohl!" fest. Und greift ins Leere.
Für die Biennale in Venedig hat er im Vorjahr als versierter Parteigründer (Chance 2000!) eine "Church of Fear" gegründet. Mit dieser wird er nach Bambiland auch in Zürich gastieren und nachher in Bayreuth: Dort inszeniert er Parsifal. Es scheint plausibel, dass er sich mit dem mitunter doch recht beängstigenden reinen Toren identifiziert - und dabei wieder über sich selbst und seine Familie erzählt.
Über einen fast blinden Vater etwa, dessen Obsessionen ein katholisch erzogener Sohn jetzt auslebt. Über eine Mutter, die durch sehr viel Sohn-Verständnis ein merkwürdiges Welt-Verständnis entwickelt. Und noch einmal über sich selbst: Schlingensief, der den Blick von Wunden und Behinderungen wie manisch nicht abwenden kann - und gleichzeitig über eine ungeheuer schnelle Auffassungsgabe verfügt. Als Schüler der Avantgardisten Werner Nekes und Kurt Kren sei er, so erzählt man, der Einzige gewesen, der einen eingeschmuggelten Einzelkader in einem laufenden Film erkennen konnte: eine Vierundzwanzigstelsekunde Wahrheit. Oder Lüge. Je nachdem.