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Saddam Hussein, wie er sich gerne seinen Untertanen präsentierte: mit dem Gewehr in die Luft feuernd.

Foto: REUTERS/Faleh Kheiber
Der Propagandafilm "Die langen Tage", mit dem die Iraker in den Achtzigerjahren beglückt wurden, erzählt die erste Flucht Saddam Husseins in biblischer Breite: Am Bein verletzt, entkommt er seinen Häschern in letzter Minute und gelangt auf abenteuerlichen Wegen und halb verhungert zu Pferd, zu Fuß, mit einem Messer zwischen den Zähnen den Tigris schwimmend überquerend, von Bagdad in sein Heimatdorf Auja und weiter nach Damaskus.

Das war 1959, nach dem missglückten Attentat auf Präsident Kassem (der 1963, bei der ersten Baath-Revolution, getötet wurde). Saddams zweite Flucht ist nun nach gut acht Monaten nach dem Fall Bagdads vom 9. April zu Ende, und dieses Ende war ganz und gar nicht heroisch: Ohne dass ein Schuss abgefeuert wurde, wurde er aus einem Erdloch geholt.

Der irakische Exdiktator wurde nach offiziellen Angaben am 28. April 1937 in Auja bei Tikrit geboren. Seine Kindheit war arm und deprimierend, die Spuren seines Vaters Hussein al-Majid verlieren sich früh. Saddams Stiefvater Hassan al-Ibrahim war primitiv und brutal, die Heirat bedeutete einen weiteren sozialen Abstieg für Saddams Mutter Subha, um die der Diktator später einen Personenkult entwickelte, für den wenig realer Anlass vorhanden gewesen sein dürfte. Seinen aus der zweiten Ehe Subhas stammenden Halbbrüdern Barzan, Wathban und Sabawi (alle drei in US-Haft) trug Saddam das Verhalten ihres Vater aber nicht nach, sie bekamen später alle ihren Platz im Machtgefüge (und wurden auch wieder entmachtet).

Chance zum Aufstieg

Seine Chance zum Aufstieg erhielt Saddam durch seinen Onkel mütterlicherseits, Khayrallah Tulfah, einen von den Briten wegen seiner nationalistischen Agitationen eingesperrten degradierten Offizier und Nazibewunderer, der Saddam in Tikrit den Schulbesuch ermöglichte. Sein Wunsch, in die Militärakademie in Bagdad aufgenommen werden, blieb ihm wegen mangelnder Leistungen versagt, nach der Flucht nach dem Putschversuch gegen Kassem 1959 besuchte Saddam in Kairo die Universität, war bald aber nur mehr mit Parteiaktivitäten beschäftigt.

Die erste Baath-Herrschaft, die mit einem Gemetzel an irakischen Kommunisten eingeleitet worden war - angeblich war die CIA bei der Auswahl der Opfer behilflich -, fand bereits im Herbst 1963 wieder ein Ende. Von 1964 bis 1966 saß Saddam zwei Jahre lang im Gefängnis; dass er damals angeblich eine Vorzugsbehandlung genoss und fliehen konnte, nährt bis heute das Gerücht, dass ihm die CIA, zu der er in Kairo Kontakte geknüpft hatte, zu Hilfe kam.

Der zweite Mann

1968, nach dem zweiten Baath-Putsch, war Saddam Hussein zunächst neun Jahre lang nominell zweiter Mann hinter Präsident Hassan al-Bakr (einem Cousin seiner Mutter), in dieser Zeit baute er die Institutionen - vor allem die Geheimdienste - auf, die ihm später die unbeschränkte Macht garantieren sollten: Leute aus der Familie, dem Clan, dem Stamm Saddams oder auch aus Tikrit und Umgebung - etwa aus Dur (Dawr), wo er nun verhaftet wurde - wurden in Schlüsselpositionen positioniert. Geld war im Irak nach der Nationalisierung des irakischen Öls (1972) und der Ölkrise in Fülle vorhanden und brachte dem Land einen enormen Sozialisierungs-und Modernisierungsschub - und Saddam Prestige bei der Bevölkerung, das er geschickt durch seine Auftritte als bürgerlicher Familienvater und kontaktfreudiger, fürsorglicher Politiker zu unterstreichen wusste.

Während Ehefrau Sajida (Saddam sollte später noch zweimal, vielleicht dreimal heiraten, bei aufrechterhaltener erster Ehe) anfangs noch weiter als Lehrerin arbeitete, war Saddam jedoch längst mit der Anhäufung seines enormen Reichtums, zuerst vor allem Landbesitz, beschäftigt und legte sich jene Dandy-Allüren zu, die ihm später vor allem Sohn Uday nachmachte: Saddam Hussein konnte man bis zuletzt am meisten Freude durch schöne Kleidungsstücke machen. Bei seinen Fernsehauftritten auch später in den Sanktionsjahren sah man ihn kaum zweimal im selben Anzug.

1979 kam mit der Zwangspensionierung Bakrs, der eine syrisch-irakische Union angestrebt hatte, die totale Machtergreifung, sie war Anlass zu einer makabren Säuberungsaktion: Bei einer Parteiversammlung von über tausend Delegierten ließ Saddam zuerst den Sekretär des Revolutionären Kommandorats, Muhi Abdulhussein Mashhadi, vor der Versammlung seine - angeblich von Syrien gesponserten - Putschpläne beichten, dann verlas er, genüsslich an seiner Zigarre paffend, mit langen Pausen von einer Liste die Namen der angeblichen Mitverschwörer, die mit einem Hoch auf die Partei aufstehen mussten und sofort verhaftet wurden.

Das bei der Versammlung aufgezeichnete Video, das später von der Baath-Partei verbreitet wurde, zeigt Szenen einer Massenhysterie: Das terrorisierte Publikum weint und verlangt in Sprechchören nach einer Parteisäuberung. Bei den Hinrichtungen der "Verräter" mussten die in der Baath-Führung Verbliebenen selbst Hand anlegen, Saddam nannte das "demokratische Hinrichtung". Zu den Opfern gehörte übrigens auch jener Mann, der nach Aussagen von Zeitzeugen am ehesten dem nahe kam, was man als einzigen "Freund" Saddams bezeichnen könnte, Adnan Hamdani.

Während all dieser Jahre seiner Verbrechen im Irak blieb Saddam, wenn auch immer wieder kritisiert, Liebkind der westlichen Politik: Eine Karikatur aus den 80er-Jahren zeigt etwa, wie er an der Seite von Uncle Sam die Ölfässer vor dem Bösewicht Khomeini schützt. Die Wende kam erst, als Saddam im August 1990 Kuwait überfiel - bereits vorher war den USA klar geworden, dass sie mit der Unterstützung Saddams im Krieg gegen den Iran (1980- 1988) ein Monster, das nach ABC-Waffen strebte, kreiert hatten: Trotzdem verschaffte der amerikanische Wunsch nach Stabilität in der Region Saddam nach dem verlorenen Golfkrieg 1991 weitere zwölf Jahre an der Macht, seine Zeit lief erst im April 2003 aus. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2003)