Illustration: Oliver Schopf
Brüssel - Wenn das EU-Parlament am Dienstag über den gescheiterten EU-Verfassungsgipfel, dessen Teilnehmer und insbesondere über die auslaufende italienische EU-Ratspräsidentschaft in Straßburg zu Gericht sitzt, steht eine heiße Debatte bevor. Auch die Abgeordneten sehen sich dem Szenario gegenüber, das nach dem Brüsseler Regierungstreffen vom Wochenende im Raum steht: die Bildung eines Kerneuropa, falls sich die aktuelle Krise im Kreise der 25 nicht überwinden lässt.

"Noch einige Monate Zeit"

"Es bleiben uns noch einige Monate Zeit", mahnte am Montag der französische EU-Kommissar Michel Barnier, der aus seinen sehr engen Beziehungen zu Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac kein Hehl macht. Sollten jedoch die Verfassungsverhandlungen auch im kommenden Jahr scheitern, dann müssten sich die Unionsländer dazu entschließen, "nicht mehr alle im selben Schritt voranzugehen", sagte in einem Zeitungsinterview.

EU-Kommission sieht "im Prinzip" kein Problem

Die EU-Kommission als Hüterin der EU-Verträge habe "im Prinzip" damit kein Problem, betonte am Montag in Brüssel der Sprecher von Kommissionspräsident Romano Prodi. Die Idee von einem Kerneuropa dürfe "nicht rundweg abgelehnt werden", sagte er. Entscheidend sei, "ob es innerhalb des EU-Rechtsrahmens stattfindet".

Die Brüsseler Behörde beschränkt ihre Unterstützung für eine Pioniergruppe innerhalb der EU auf die geltenden Verträge. Denn nach diesen ist ein Vorpreschen in einzelnen Politikbereichen im Rahmen der so genannten "verstärkten Zusammenarbeit" bereits möglich. Dazu müssen sich mindestens acht Länder zusammenfinden und zu Beginn die Genehmigung einer qualifizierten Mehrheit aller 25 holen. Ausdrücklich ausgeschlossen ist diese Konstruktion nur für die Sicherheits-und Verteidigungspolitik.

Sechs Alte, drei Neue

Wer zur Avantgarde gehören könnte, überlegte am Montag Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker öffentlich. Im Deutschlandfunk nannte er als Kernkandidaten die sechs europäischen Gründerstaaten sowie Ungarn, Tschechien und Slowenien. Mit Blick auf die Sondierungen für einen zweiten Verfassungsanlauf, die die irische EU-Ratspräsidentschaft nun beginnen und auf dem EU-Frühjahrsgipfel im März vorlegen soll, sagte Juncker: "Wenn sich herausstellen sollte, dass unsere Ambitionen für das Europa der nächsten 30 Jahre nicht mehr von allen geteilt werden, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als uns zu überlegen, wie wir in einer fester zusammengefügten Kerntruppe weiterführende Schritte zur Integration unternehmen können."

"Europa steckt jetzt in der Krise"

Juncker zählte hierfür die Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Bereiche Justiz und Inneres auf und stellte fest: "Europa steckt jetzt in der Krise." (DER STANDARD, Printausgabe 16.12.2003)