Moskau/Wien - Die Europäische Union ist in der Frage um Forschungen an Embryonen und embryonalen Stammzellen gespalten. Eine Ländergruppe um Österreich lehnt solche Arbeiten aus ethischen und religiösen Gründen ab, andere Länder wie Großbritannien, in denen Embryonenforschung erlaubt ist, unterstützen diese Experimente.

Nachdem sich der Ministerrat Anfang des Monats zum wiederholten Male nicht auf eine gemeinsame Förderrichtlinie hatte einigen können, kündigte die EU-Kommission an, nach Auslaufen des Moratoriums entsprechende Forschungsprojekte dennoch zur Förderung vorzuschlagen.

Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Embryonenforschung in Nicht-EU-Staaten bereits weit fortgeschritten ist, Europa in dieser Hinsicht ins wissenschaftliche Abseits geraten könnte. Als Konkurrenten in diesem Bereich wurden bisher jedoch nur Israel, Australien, Japan, Singapur, Indien und die USA genannt. Was aber läuft alles in Russland? Was regelt zum Beispiel das russische Gesetz zum Klonen?

Korotschkin: Seit dem Vorjahr haben wir ein fünfjähriges Moratorium auf das reproduktive Klonen von Menschen. Die Frage des therapeutischen Klonens ist bei uns nicht geregelt, an der Ausarbeitung eines Gesetzes wird gearbeitet. Dezidiert erlaubt ist bei uns die Arbeit mit abortivem, mit abgetriebenem Material.

Standard: Der russische Humangenetiker Wladislaw Baranow hat westliche Forscher eingeladen, weil man in Russland mit Föten arbeiten könne, so viel man will. Stimmt das? Korotschkin: Ich weiß, dass es in manchen Ländern verboten ist, vor allem mit Föten, die älter als neun Wochen sind. Bei uns besteht hier jedoch keinerlei Verbot, das stimmt.

STANDARD: Wie sieht es in Russland mit der verbrauchenden Embryonenforschung aus? Korotschkin: Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen, aber derzeit kann man bei uns diesbezüglich bedenkenlos arbeiten. Ethische Bedenken bestehen natürlich bei Arbeit mit embryonalen Stammzellen, die durch spezielle Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken gewonnen wurden - schließlich braucht man dazu Spender von Eizellen, die gleichsam für einen geplanten Mord bezahlt werden. Generell halte ich aber die Arbeit mit mesenchymalen Zellen, das sind zum Beispiel Zellen aus dem Knochenmark, für weitaus perspektivenreicher und ethisch vertretbarer.

STANDARD: Hat Russland embryonale Stammzellenlinien? Korotschkin: Ja natürlich, aber noch haben wir nicht sehr viel eigene geschaffen. In Petersburg verfügen wir derzeit über vier Stammzellenlinien, in Moskau, auf unserem Institut, erst über eine.

STANDARD: Was ist mit den Gerüchten, dass embryonale Stammzellen schon therapeutisch angewendet werden? Korotschkin: Soweit mir bekannt ist, wird das bei uns noch nicht angewendet. Zumal sich dies durch das große Risiko einer Tumorbildung verbietet. Außerdem ist das nicht so einfach, und die Arbeiten sind teuer, während unsere Wissenschaft arm und die Anzahl der Labors klein ist. Ich bin fast mit allen in Kontakt, und generell werden Zellen, die irgendwo klinisch angewendet werden sollen, auf unserem Institut identifiziert. Wenn irgendetwas im Untergrund vor sich ginge, würde ich es wissen.

STANDARD: Jüngst haben Wissenschafter der Forschungshochburg Nowosibirsk in Deutschland von Sensationserfolgen berichtet, wobei unklar blieb, mit welchem Material sie arbeiten. Wissen Sie es? Korotschkin: Sie haben keine eigenen Stammzellenlinien, aber einige aus Amerika gekauft und arbeiten nun mit großem Interesse daran. Die therapeutischen Erfolge, die man in Novosibirsk - besonders in der Neurochirurgie - erzielte, gelangen mit fötalen Zellen aus abortivem Material. Man hat ein Gemenge embryonaler Zellen aus dem Gehirn genommen, unter denen wir auf dem Institut auch Stammzellen entdeckt haben, die zwar nicht totipotent sind, aber ein ausreichend großes Spektrum zur Ausdifferenzierung haben. Das Gemisch wurde operativ an die Stelle im Hirn des Patienten, wo Zellen sterben, eingepflanzt. Die bisherigen 3000 Eingriffe brachten einen Erfolg von um die 60 Prozent. Tatsächlich kommen viele ausländische Patienten, insbesondere aus Israel, nach Nowosibirsk - teils weil im Westen eine solche Therapie verboten, teils weil sie dort zu teuer ist.

STANDARD: Der Enthüllungsjournalist Alexander Chinstejn schreibt von einer skrupellosen Medizinerlobby? Hat er Recht? Korotschkin: Er schreibt von ungesetzlichen Methoden und Verfahren, beinahe von einem Verkauf von embryonalem und anderem Material ins Ausland. Mir ist davon nichts bekannt. Ich traue diesem Journalist nicht, juristisch sind seine Anschuldigungen nicht haltbar. Die Schmutzkampagne gegen unsere Embryologen ist unberechtigt. Dass jemand die Gesetzeslage missbraucht, ist schon möglich. Ähnliche Gerüchte kursieren aber auch im Westen.

STANDARD: Arbeiten Sie selbst mit Stammzellen? Korotschkin: Ja, so wie die Mehrheit bei uns, wobei immer mehr mit mesenchymalen Stammzellen des Patienten selbst arbeiten. Kürzlich haben wir im ukrainischen Charkow mit Stammzellen aus dem Knochenmark eines Patienten diesen ziemlich erfolgreich von Parkinson geheilt. Wie die Filmdokumentation zeigt, zittert eine Hand überhaupt nicht mehr und die andere kaum noch. Bei vier weiteren Behandlungen waren die Erfolge unterschiedlich. Mittlerweile wird an mehreren Instituten therapeutisch mit adulten Stammzellen gearbeitet. Es gibt zwei Richtungen: Die einen wenden die Zellen unbearbeitet an in der Annahme, dass die Umgebung sie richtig in die gewünschte Ausdifferenzierung lenkt; andere sind der Ansicht, dass man auch auf die adulten irgendwie einwirken muss, damit sie sich schließlich in die gewünschte Richtung entwickeln.

STANDARD: Wie kommentieren Sie die Gerüchte ums reproduktive Klonen? Die Sekte Clonaid hat ja Moskau als möglichen Standort genannt. Korotschkin: Das ist alles Unsinn und schon wissenschaftlich unrealistisch. Das sind alles Gauner. In Russland sind in den letzten Jahren mehr Gauner aufgetaucht, die angeblich alle Krankheiten heilen können, als anderswo.

STANDARD : Was tut sich in Russland auf dem Gebiet des Klonens von Tieren? Korotschkin : Auch hier gibt es viele Schwierigkeiten und wenige Erfolge. In der Nähe von Moskau wurde ein Zentrum zum Klonen von Ziegen und Kühen eingerichtet. Ich kann nicht sagen, wie viel sie schon gemacht haben. Das Thema ist bei uns aber nicht neu. In Novosibirsk hat man schon 1970 erste Schritte mit Mäusen gemacht. Wissenschafter, die das Schaf Dolly geklont haben, hatten sich auch mit russischen Kollegen beraten. Einige behaupten, die Briten hätten in Russland entwickelte Techniken angewendet. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2003)