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Ein Vaporetto im venezianischen Nebel - kein Bild von diesem Wochenende

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Streikland Italien: Arbeitskämpfe und Kundgebungen haben Tradition. Erst letzte Woche protestierte die Alitalia-Belegschaft

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Rom - In mehreren italienischen Großstädten haben Beschäftigte der öffentlichen Verkehrsbetriebe am Sonntag ihre wilden Streiks fortgesetzt - ungeachtet der am Samstag zwischen Gewerkschaften und Transportunternehmen vereinbarten Tarifeinigung. In der Finanzmetropole Mailand kam der gesamte öffentliche Nahverkehr zum Erliegen. In Venedig blieben die meisten Fähren in den Docks, und auch in der Hauptstadt Rom blieben die Busse am Sonntag zumeist in den Depots.

Die Regierung reagierte empört und drohte mit Zwangsmaßnahmen gegen die Streikenden. Innenminister Giuseppe Pisanu forderte die örtlichen Behörden zur "gesetzlichen Einberufung" der Bediensteten von Verkehrsbetrieben auf. Diese wären dadurch zur Arbeit gezwungen, wenn sie einem Strafverfahren entgehen wollen.

Weihnachtsgeschäft gefährdet

Die Tarifverträge für die Beschäftigten bei den Verkehrsbetrieben waren 2001 ausgelaufen. Die Arbeiter hatten gefordert, die Monatsgehälter um 106 Euro aufzustocken, die Arbeitgeber hatten 41 Euro geboten. Geschäftsleute in Italien befürchten durch die Streikaktionen Nachteile für ihr Weihnachtsgeschäft.

"Es ist ein Skandal"

Der Busfahrer Ettore Longhi zieht den Lohnstreifen aus der Jacke seiner blauen Dienstuniform. "Hier", deutet er erregt und hält ihn der gestikulierenden Frau unter die Nase. "Werfen Sie einmal einen Blick drauf!" Doch die 34-jährige Simonetta Petrone will gar nicht wissen, dass Busfahrer Longhi nach zehn Dienstjahren gerade 1000 Euro auf seinem Lohnzettel vorfindet. Sie will heim zu ihrem kleinen Kind. "Es ist ein Skandal", klagt sie mit Tränen in den Augen und blickt auf die endlose Schlange vor dem Taxistand am römischen Bahnhof Termini.

Am Eingang der U-Bahn, mit der Simonetta heimfahren wollte, hängt seit 15 Minuten ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift "Wegen Streiks geschlossen". Eine halbe Million Römer sind davon betroffen. Viele protestieren so vehement, dass die Polizei die Gemüter beruhigen muss.

Ettore Longhi ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Deren Unterschrift unter das Angebot der Regierung findet er "skandalös". Und weil diese Sicht von den meisten seiner Arbeitskollegen geteilt wird, mussten am Sonntag viele Italiener ihre Weihnachtseinkäufe zu Fuß erledigen.

In Mailand verkehrten am Wochenende weder Busse noch U-Bahnen. Die Dienstverpflichtung durch Präfekt Bruno Ferrante ließ die Busfahrer kalt. Dass die Handelskammer die Verluste der Geschäftsleute auf 50 Millionen Euro beziffert, beeindruckt sie ebenso wenig. "Das ist eine beispiellose Provokation", erregt sich der Busfahrer Giovanni Esposito. "Man hat uns eine Lohnerhöhung von 81 Euro zugestanden. Das ist bei einem Monatsverdienst von 900 Euro zu wenig. Ich habe Frau und Kind. Wie soll ich überleben?"

So mussten am Sonntag nicht nur die Bürger von Mailand auf öffentliche Verkehrsmittel verzichten. Auch in Venedig, Florenz, Padua, Brescia und anderen Städten legten wilde Streiks den Nahverkehr lahm. In Rom, wo der Präfekt alle Bediensteten der Verkehrsbetriebe bis 26. August zum Dienst verpflichtete, verkehrte nur die Hälfte der Autobusse.

Gewerkschaft nervös

Ist der zivile Ungehorsam der 110.000 Beschäftigten der Nahverkehrsbetriebe nur der Auftakt zu einer Serie wilder Streiks auch in anderen Bereichen? Der Vorsitzende der Gewerkschaft UIL, Luigi Angeletti, spricht von einer "menschlich verständlichen Reaktion". Die Busfahrer hätten zwei Jahre auf ihren Vertrag gewartet und seien jetzt enttäuscht. "Wir müssen ihnen auf Betriebsversammlungen den Abschluss erklären. Dann wird sich die Lage beruhigen", hofft Angeletti.

Innenminister Giuseppe Pisanu drohte den Streikenden am Sonntag mit schwer wiegenden Folgen: "Wer sich der Dienstverpflichtung widersetzt, wird angezeigt." (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2003)