Für Alexander Kluge mündet der Prozess der Aufklärung nicht unausweichlich (wie für Adorno/Horkheimer) in die technizistische Unterwerfung und Zerstörung der äußeren wie der inneren Natur. Kluge glaubt an Kreuzungspunkte, wo andere Entscheidungen noch möglich sind, an eine "Lücke, die der Teufel lässt". So nannte er auch sein neues Buch. Und darüber sprach er in der Sonntagsmatineereihe des Volkstheaters - "Globalisierung und Gewalt" - mit STANDARD-Kulturressortleiter Claus Philipp. Im Dialog, nie monomanisch. Das enorme Publikumsinteresse bewies wieder einmal, wie wichtig gerade in diesem Theater eine geballte Ladung an Nachdenklichkeit ist.
Für Vereinfachungen ist Kluge dabei nicht zu haben, deshalb auch nicht für simplen Antiamerikanismus: Ein Tyrann wie Saddam sei ein Tyrann; andererseits aber falle man mit derartig asymmetrischen Kriegen in eine Zeit zurück, die der Westfälische Friede 1648 für immer verhindern wollte. Und um die kulturelle Problematik zu verdeutlichen, liest Kluge eine der 500 Geschichten seines Buches vor, diejenige des Galileo Galilei:
"Eigentlich ein westlicher Fundamentalist." Denn: Zwar führte Galilei unbestechlich seinen hellen Geist der Empirie ins Treffen, dies aber auch gegen (religiöse) Gefühlswelten, die mit Empirie nicht erfasst werden können. Mit Fakten - eine Hostie ist ein Stück Teig, kein anwesender Gott - zerstörte er die Lehre der Transsubstantion. Die Kirche verurteilte ihn vordergründig bekanntlich einer anderen Ansicht wegen (der Kugelgestalt der Erde und ihrer Stellung im Kosmos) zum Tode.
Alexander Kluge unterscheidet in dieser seiner Parabel also zwischen nötiger und vorantreibender Aufklärung (wie Galileis Kosmologie) und einer, die imperialistisch Gefühle zerstört. Das ist ein differenzierter, ein anderer "Kommentar" zur Globalisierung: Die zwei Seiten der Aufklärung - Mut zum Denken einerseits, Allmachtswahn andererseits - seien siamesisch zusammengewachsen. Und dahinein gelte es Lücken zu schlagen.
Doppelte Seele
"Die scheinbar so objektiven äußeren Verhältnisse haben eine subjektive Seite. Ich glaube an ein zweifaches Unbewusstes: Das, was Menschen in sich tragen; und das, was sich zwischen Menschen, ereignet." Von diesem "Zwischen" in der Außenwelt gehen Konflikte und Kriege aus. Sie sind deshalb auch nicht technizistisch zu beenden. Sondern nur durch eine poetische Erforschung dieser Nahtstellen. Und hier setzen die vielen Geschichten an, die Kluge und Philipp an diesem Vormittag als Exempla möglicher Auswege vortrugen, "zur Schärfung der Unterscheidungskraft".