"Enron auf Italienisch": EU-Präsident Romano Prodi brachte den Skandal um den Milchkonzern Parmalat auf den Punkt. Wandten die Konstrukteure der Enron-Pleite in den USA vor zwei Jahren allerdings noch hoch komplizierte Bilanzierungstricks an, um Verluste zu verstecken, so ist die italienische Version deutlich einfacher gestrickt. Ein Konto mit vier Milliarden Euro verschwindet, ein Investment über 497 Millionen Euro in einen Investmentfonds auf den Cayman-Islands findet nicht einmal als Fußnote Erwähnung in der Bilanz - und weg ist das Geld.

Und atemberaubend ist auch die Expansionsgeschwindigkeit des italienischen Konzerns: Hatte Parmalat 1990 nur in sechs Ländern Niederlassungen, so sind es heute bereits 30. Wobei auch einige recht exotische Länder das Management in Parma begeistert haben dürften: Mauritius, Mosambik, Swasiland, Cayman Islands. Die Österreich-Tochter Parmalat Austria hält neben der 25,1-Prozent-Beteiligung an der niederösterreichischen Nöm auch Anteile an Töchtern auf den Niederländischen Antillen, Mauritius und Südafrika. Ein wohl nur zufälliges Zusammentreffen dürfte es sein, dass die Nachfrage nach italienischen Milchprodukten dort recht groß zu sein scheint, wo es auch verschiedenste äußerst diskrete Möglichkeiten der Geldanlage gibt.

Entsprechend dem Drang in die weite Welt ist auch der Schuldenberg groß, auf dem Parmalat sitzt: Experten schätzen ihn zurzeit auf sechs bis neun Milliarden Euro, während bis vor kurzem die Nettoschulden nur mit 1,8 Milliarden beziffert wurden.

Beunruhigend an der Pleite ist vor allem das Versagen sämtlicher Kontrollmechanismen - exakt wie bei Enron. Den Ratingagenturen - die ja Parmalat wegen der hohen Verschuldung mittels Anleihen besonders im Auge haben sollten - fiel offenbar nichts auf. Standard & Poor's senkte das Rating der Anleihen erst auf "Schrottniveau", als der Skandal bereits durch die Medien geisterte. Noch am 21. Dezember, fast zwei Wochen nach den ersten Alarmsignalen und am Tag vor dem Gang zum Konkursrichter, empfahlen laut Finanzagentur Bloomberg noch immer die Analysten von Smith Barney, Banca Leonardo, der Fondsgesellschaft Actinvest, Santander und Crédit Lyonnais Parmalat zum Kauf. Bei Enron empfahlen noch 17 Analysten die Aktie am Tag der Konkurseröffnung als "interessantes Investment".

Und die Buchprüfer Grant Thornton und Deloitte & Touche hatten mit den Bilanzen auch nie ein Problem und erteilten uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Im letzten Quartalsbericht wurde noch eine Liquidität von 4,2 Milliarden Euro bestätigt - obwohl es das dazugehörige Konto samt Guthaben nicht gab. Die Milchbauern, die Parmalat belieferten, fragte offenbar niemand: Sie hatten seit August kein Geld mehr gesehen. Und Regierungschef Berlusconi will das Unternehmen nun retten und Wiederholungen verhindern- nachdem er Bilanzfälschung vor kurzer Zeit straffrei gestellt hatte.

Es ist keine gute Optik, wenn Analysten von Banken bezahlt werden, die das Unternehmen zusätzlich beraten und dadurch bestens verdienen. Und es ist eine verheerende Optik, wenn die Buchprüfer weltweit vom Wohlwollen ihres Auftraggebers abhängig sind. So wenig man sich seinen Steuerprüfer oder Richter aussuchen kann, so wenig sollten Unternehmen entscheiden dürfen, wer ihre Bilanz prüft. Kriminalität und Betrug sind nicht vorherzusehen - das darf aber keine Ausrede für fehlende Schutzmaßnahmen sein.

Ein der Börsenaufsicht unterstellter Fonds, in den alle Unternehmen entsprechend ihrer Größe einzahlen und der dann die Wirtschaftsprüfer bestellt und bezahlt, wäre eine deutlich bessere Lösung als die derzeitige Wahl durch die Unternehmen selbst.

Die EU sollte aus dem Fall Parmalat lernen und sich zu einer modernen und strengen Kapitalmarktüberwachung entschließen. Alles andere ist eine herzliche Einladung auf die schönen Caymans. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2003)