Gar mancher Italiener mag am Wochenende einen irritierten Blick aus dem Fenster geworfen haben, um sich zu vergewissern, ob die Busfahrer auch wirklich streiken. Denn die Welt, die ihnen ihr Regierungschef in einer gut zweistündigen Fernsehplauderei vermittelte, hatte wenig gemein mit den Problemen, mit denen sich viele Italiener in der Weihnachtszeit konfrontiert sehen: bestreikte Flughäfen, stillgelegte U-Bahnen und steigende Preise.

Dagegen präsentierte sich der Premier so, wie er sich selbst am meisten liebt: als fürsorglicher Landesvater, der mit gut gemeinten Ratschlägen an die Bevölkerung nicht spart: "Wenn der Wille vorhanden ist, lässt sich jede negative Situation in eine positive verwandeln."

Silvio Berlusconi zeichnete das Bild einer "großen italienischen Familie", die einer positiven Zukunft entgegenblicke. Er unterstrich das "große internationale Ansehen Italiens" und betonte seine hervorragenden Charaktereigenschaften ("meine Mama hat mich schon immer getadelt, weil ich zu gutherzig bin"). Den staunenden Fernsehzuschauern schilderte er einen Streit mit seiner 80-jährigen Tante: "Sie wollte die Preise in ihrem Theater bei Einführung des Euro aufrunden."

Verständlich, dass das staatliche Fernsehen RAI den unerschöpflichen Redefluss des Regierungschefs nicht abrupt unterbrechen wollte. Eine Einblendung informierte die Zuschauer, dass die Nachrichtensendung TG 1 auf das Ende der Plauderei verschoben werde. RAI-Präsidentin Lucia Annunziata begnügte sich mit einer tadelnden Bemerkung über die (vom Premier eingesetzten) Programmchefs: Sie hätten "Übereifer" bewiesen. Auch das ist bezeichnend für die Verhältnisse in Berlusconis "großer Familie". (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2003)