Foto: Franz Skala, Institut für Ökologische Stadtentwicklung (Wien)

Nirgendwo tritt der Konflikt zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Interessen so offenkundig zutage wie in der Flächennutzung. Die Ausdehnung des Siedlungsraumes führt nicht nur zur Zerschneidung und Zerstörung natürlicher Biotope, sondern auch zur massiven Zunahme des Verkehrsaufkommens und zur Beeinträchtigung und Polarisierung der Wohnbevölkerung. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich in den letzten 50 Jahren der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche am gesamten Territorium von 7,1 Prozent im Jahr 1950 auf 13,8 Prozent nahezu verdoppelt, wobei in den 1990er Jahren eine erneute Beschleunigung verzeichnet wurde. Dass wirtschaftliches Wachstum nach wie vor "unmittelbar raumwirksam" wird, veranschaulichen auch deutsche Wachstumswerte aus den 1990er Jahren. Bei einem 12-prozentigen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts zwischen 1992 und 2001 nahm die Siedlungsfläche um 9 Prozent zu.

"Nachhaltige Siedlungsentwicklung" bezeichnet den Anspruch, den Gedanken nachhaltiger Entwicklung in seiner räumlichen Dimension zu verwirklichen. Der Begriff ist seit den 1990er Jahren zu einem Schlagwort der Architektur und Raumplanung sowie der Stadt- und Regionalentwicklung geworden. Beginnend mit politischen Willensbekundungen auf internationaler Ebene, verschrieb man sich bald auch seitens europäischer Städte und Gemeinden flächensparender und verkehrsreduzierter Erneuerung und Erweiterung der bestehenden Siedlungsstrukturen. Gleichzeitig entstanden seit den späten 1990er Jahren zahlreiche Modellinitiativen und Pilotprojekte, die versuchten, die Vision nachhaltiger Siedlungsentwicklung durch kreative Planungsprozesse und innovative bauliche Maßnahmen in konkreten gebauten Strukturen und sozialen Organisationsformen zu verwirklichen.

Im Dezember 2003 beschäftigt sich nun erstmals das Monatsthema auf www.nachhaltigkeit.at mit dieser zentralen Herausforderung im Themenkomplex nachhaltiger Entwicklung. Der Fokus liegt dabei auf dem europäischen Raum, wobei insbesondere die Diskussion aus dem deutschen Sprachraum nachgezeichnet wird. Neun GastkommentatorInnen aus Wissenschaft und Verwaltung sowie VertreterInnen von Siedlungsprojekten beschäftigen sich kritisch mit der Umsetzungspraxis nachhaltiger Siedlungsentwicklung.

Modelle nachhaltiger Siedlungsentwicklung

In der akademischen und politischen Diskussion über nachhaltige Siedlungsentwicklung finden sich im wesentlichen zwei Modelle. Das Modell der "Compact City" zielt insbesondere auf den gezielten Umbau der europäischen Stadtform im Sinne nachhaltiger Entwicklung ab. Entscheidend ist, dass durch kompakte und gemischte Nutzungsstrukturen Verkehr möglichst vermieden wird und verbleibende Wegstrecken im Umweltverbund (also zu Fuß, mit dem Rad und dem öffentlichen Personennahverkehr) zurückgelegt werden. Die Netze öffentlicher Verkehrsmittel sollen gegenüber dem motorisierten Individualverkehr klar bevorzugt, gleichzeitig der Druck zur Nutzung des privaten PKW weitgehend reduziert werden.

Initiativen zur Umsetzung kompakter Stadtstrukturen beinhalten also insbesondere den gezielten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, die Umnutzung bestehender Brachflächen ("brownfields") durch Flächenrecycling, die Nutzung von Baulücken (beides Strategien der "Innenverdichtung") und Maßnahmen, um physisch (beispielsweise durch Gleiskörper) getrennte Stadtteile wieder zu verknüpfen. Die "Compact City" wird oft mit der traditionellen europäischen Stadtform verglichen, durch Nutzungsmischung und soziale Vielfalt sollen eine hohe Lebensqualität und ökologisch erwünschte Verdichtung erreicht werden.

Das andere Modell wird auch als "Netzstadt" oder "Green City" bezeichnet und zielt neben gebauten Innovationen insbesondere auf die effiziente Nutzung von natürlichen Ressourcen ab. Durch Recycling und größere wirtschaftliche Autonomie der lokalen Einheiten soll die Größe der "ökologischen Fußabdrücke" der Kommunen vermindert werden. Dieses Modell eignet sich besonders für europäische Stadtsysteme, die aus einer Reihe von Kleinstädten mit leichter Zugänglichkeit der umgebenden Naturräume bestehen.

Vorläufer dieser Idee finden sich bereits in den legendären englischen "Gartenstädten" von Ebenezer Howard. Vor allem der Siedlungsbau auf der grünen Wiese ("greenfield developments"), der meist noch von ausschließlicher Wohnnutzung geprägt ist, sollte im Sinne nachhaltiger Entwicklung an diesen Konzepten ausgerichtet werden. Auch hier ist entscheidend, dass die Erschließung der polyzentrischen Städtesysteme durch umweltfreundliche Verkehrsmittel gewährleistet ist und kompakte Siedlungsformen verwirklicht werden. Diese Form der Stadtentwicklung als Netz aus kompakten, funktional gemischten Städten entlang der Achsen des öffentlichen Verkehrs wird auch als "dezentrale Konzentration" bezeichnet.

In beiden Modellen zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung ist die Strategie der "Stadt der kurzen Wege" zu verfolgen. Sie bezeichnet die funktionale Durchmischung von Stadtteilen und Siedlungsgebieten. Die Lebensfunktionen Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Erholen sollen unter Beachtung sozioökologischer Kriterien in verdichteten Räumen zusammengeführt werden. Das Erfordernis großer täglicher Wegstrecken würde dadurch reduziert. Im Falle bestehender Siedlungen bieten sich durch "Nachverdichtung" Optionen für die Einbindung neuer Nutzungen. Nachverdichtungsmöglichkeiten ergeben sich insbesondere durch die Nutzung von Baulücken und Brachflächen, doch auch durch die intensivere Auslastung bestehender Gebäude (Dachbodenausbau, Vermeidung von Leerständen).

Umsetzungsperspektiven

Eine relevante Frage bleibt aber, wie man von diesen theoretischen Überlegungen zu Umsetzungsstrategien nachhaltiger Siedlungsentwicklung kommt. Dem Staat stehen dazu prinzipiell sämtliche marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumente zur Verfügung. Fiskalisch müssten demnach die Einnahmen- und die Ausgabenseite an den Erfordernissen nachhaltiger Siedlungsentwicklung ausgerichtet werden. Einnahmenseitig könnte man mit der speziell ausgestalteten Grundsteuer sowie einer Flächennutzungssteuer ökologische Lenkungseffekte erzielen.

Ausgabenseitig müsste die Vergabe von Wohnbau- und Strukturförderungsmitteln nach ökologischen (z.B. Niedrigenergiehäuser, keine Förderung für Einfamilienhäuser, mehrgeschossige Gewerbegebäude) und räumlichen (z.B. Konzentration auf Innenentwicklung) Kriterien ausgerichtet werden. Abseits fiskalischer Eingriffe unterstützen insbesondere die Instrumente des Bauflächenmanagements und Baulandmonitoring die schnelle Neunutzung von Brachländern.

Dass allerdings Maßnahmen mit unmittelbarem Raumbezug im Kontext der räumlichen Implikationen zahlreicher andere Politikfelder betrachtet werden müssen, liegt auf der Hand. Aus diesem Grund werden in diesem Monatsthema auch einführende Überlegungen zum Spannungsverhältnis zwischen nachhaltiger Siedlungsentwicklung und Marktliberalisierung angestellt. Insbesondere die europäische Verkehrspolitik und Wettbewerbspolitik treten mit den Zielen nachhaltiger Siedlungsentwicklung vielfach in Konkurrenz. (wuk)