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Foto: APA/Cizek, ORF-Photographie

Wien - In jener fernen Zeit, als er begann, in Jazzkreisen aufzufallen, kam noch jede gute neue Jazzbotschaft aus Übersee. Uncle Sam hatte den Stil ersonnen und setzte laufend jene Trends, die in Europa zu Verinnerlichungsübungen führten, die mitunter virtuose Ergebnisse zeitigten. Allerdings immer vom Nimbus des gut einstudierten Nachvollzugs von Errungenschaften umgeben waren, jener Errungenschaften, die andere zu verantworten hatten.

Auch Hans Koller, 1921 in Wien geboren, kam zunächst nicht umhin, sich eklektisch an Vorbildern zu orientieren. Auch wenn er seine Klarinettenstudien anhand von Transkriptionen von Paganini betrieb ("Etwas Schwereres habe ich nicht gefunden"), beglückte ihn vor allem die lässige Saxofonkühle eines Lester Young.

Der Selbstfindungsprozess wäre ohne Zweiten Weltkrieg schneller vorangeschritten. Koller wurde mit 20 Jahren eingezogen. In der amerikanischen Kriegsgefangenschaft stellte er eine Lagerband auf, deren Attraktivität, so die Fama, schuld daran war, dass Koller schließlich als einer der Letzten nach Hause durfte. In Wien hielt es ihn jedoch nicht allzu lange.

Koller ging nach Deutschland, und in den 50er-Jahren entwickelte er jene Eigenständigkeit und Intensität, die ihn mit Leuten wie Lee Konitz, Zoot Sims, Stan Kenton und Dizzy Gillespie zusammenbrachte. Deutschland nannte man in US-Jazzkreisen plötzlich "Kollerland". Und auch jene begehrten fünf Sterne, mit denen Platten im Jazz-Magazin Downbeat geadelt wurden, durfte er in Empfang nehmen. Koller blieb allerdings in Europa, und sicher nicht ganz freiwillig.

Klarinettist Benny Goodman wollte ihn haben, Stan Kenton auch, und auch Baritonsaxofonist Gerry Mulligan hätte ihn gerne eingeladen, wäre Koller damals nur in den Besitz der begehrten Union Card gekommen - einer Art Arbeitsbewilligung im gelobten Jazzland. Goodman habe alles versucht, "er wollte sie für mich sogar kaufen", erzählte Koller einmal.

Musikhistorisch darf dieses Pech allerdings als europäisches Glück betrachtet werden. Koller markiert zusammen mit Albert Mangelsdorff gleichsam den Beginn einer europäischen Eigenständigkeit, die sich dann im Bereich des freien Spiels mit Leuten wie Peter Brötzmann fortsetzen sollte und heute eine Selbstverständlichkeit ist.

Nicht auszudenken, zu welcher Domestizierung es auch gekommen wäre, wäre Koller im disziplinierten Verbund einer Goodman-Bigband gelandet. Sein facettenreicher, voluminöser Ton mit seiner angriffslustigen Kühle wäre womöglich erstickt. Und zweifellos könnte man heute nicht anhand von Einspielungen wie Phoenix (Universal) nachhören, wie Koller in den 70er-Jahren den John-Coltrane-Einfluss zu einer individuellen, exaltierten Kunst des freien Spiels auf leicht jazzrockiger Basis transformierte.

Hans Koller ist am Montag an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. - 26. 12. 2003)