Wien - Mit den Vorgängen rund um den italienischen Nahrungsmittelkonzern Parmalat hat die Welle der bisher hauptsächlich in den USA aufgetretenen Finanzaffären nun endgültig den alten Kontinent erreicht.

Während in Nordamerika gegen Dutzende börsenotierte Riesenkonzerne wegen Bilanzmanipulationen ermittelt wurde, schien Europa lange Zeit relativ immun gegen die "Enronitis" zu sein, wie die Bilanzskandale nach dem ersten prominenten Fall, dem US-Energiekonzern Enron, auch genannt werden. Der bisher einzige, in seinen Ausmaßen den US-Fällen ebenbürtige Skandal betraf den niederländischen Einzelhandelskonzern Ahold.

Ahold, der weltweit drittgrößte Handelskonzern hinter Wal Mart (USA) und Carrefour (Frankreich), musste Anfang des Jahres zugeben, dass seine US-Tochter über Jahre hinweg aufgeblähte Gewinne ausgewiesen hatte. Der falsch bilanzierte Betrag belief sich in den Geschäftsjahren 2000 bis 2002 auf kumuliert 970 Mio. Euro. Das neue Management musste in Folge die Jahresgewinne nachträglich um hunderte Millionen Euro nach unten korrigieren.

Parmalat: Handfeste Betrügereien

Der Fall Parmalat scheint nun diesen bisher größten europäischen Casus um ein Vielfaches zu übertreffen. Ein angebliches Parmalat-Konto mit einem Guthaben von an die 4 Mrd. Euro hat sich vergangene Woche schlicht als nicht existent erwiesen, insgesamt könnte in dem italienischen 35.000-Mitarbeiter-Konzern ein Finanzloch von 10 Mrd. Euro klaffen. Anders als bei Ahold dürften nach aktuellem Informationsstand bei Parmalat gefälschte Dokumente und handfeste Betrügereien eine wesentliche Rolle gespielt haben.

Die Skandalwelle hat nach Einschätzung von Experten die Weltwirtschaft stärker erschüttert als das Platzen der Internet-Euphorie. Sie trug wesentlich zur hartnäckigen Börseflaute bis in den Herbst 2003 bei. Begonnen hat der Affären-Reigen zwei Jahre vorher, als der amerikanische Energiehändler Enron eine Reihe von Bilanzmanipulationen zugeben musste, die dazu dienten, Schulden zu verschleiern und zu hohe Umsätze auszuweisen. Wenige Wochen später kollabierte Enron unter einer Last von 16,8 Mrd. Dollar (heute 13,5, Mrd. Euro) Schulden.

Der gravierendste Bilanzskandal traf wenig später den US Telekomkonzern WorldCom. Die Manipulationen rund um WorldCom werden heute auf etwa 11 Mrd. Dollar geschätzt. Nach dem Bekanntwerden der Manipulationen musste die Gesellschaft in der bisher größten Pleite der US-Firmengeschichte Insolvenz anmelden.

Ermittlungen gegen US-Großkonzerne

Daneben ermittelten US-Staatsanwälte und Börseaufsicht gegen mehrere Dutzend US-Großkonzerne - beispielsweise gegen den Kopiergerätehersteller Xerox, der Geschäftsergebnisse künstlich aufgebläht haben soll, den mittlerweile unter Gläubigerschutz stehenden Glasfaserkabel-Konzern Global Crossing und die amerikanische Kabelgesellschaft Adelphia, bei der sich die Haupteigentümer in großem Maßstab bereichert haben sollen.

Auch der Mischkonzern Tyco 2002 war wegen Fehlbuchungen von 380 Mio. Dollar in die Schlagzeilen geraten. Gegen seinen ehemaligen Chef Dennis Kozlowski läuft mit darüber hinausgehenden Anklagen gerade der Betrugsprozess. Etwas aus der Art geschlagen sind die angeblichen Verfehlungen des US-Baufinanzierers Freddie Mac, der in den vergangenen Jahren zu geringe statt zu hohe Gewinne ausgewiesen haben soll.

Eine Reihe von Skandalen hat seit 2001 auch die Frankfurter Börse erschüttert und zum Untergang des ehemals viel bejubelten "Neuen Markts" wesentlich beigetragen. Von den schieren Größenordnungen spielten diese Finanzskandale freilich in einer anderen Liga. Als schwerster Betrugsfall gilt jener des Telematik-Entwicklers ComROAD, beim dem über Jahre hinweg der Großteil der Umsätze gefälscht war. (APA)