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Foto: Reuters/Niu
In den letzten Monaten vor seinem Tod am 9. September 1976 plagten den Despoten düstere Vorahnungen. Im Frühsommer greinte Mao Zedong vor Premier Hua Guofeng, wie wenig ihm in seinem Leben gelungen sei. Er habe nach acht Jahren Krieg 1945 die Japaner aus China und auch seinen Gegenspieler Tschiang Kai-schek 1949 "auf einige Inseln" nach Taiwan vertreiben können. Das mit den Inseln müsse er nun unerledigt zurücklassen wie auch "das Erbe" seiner 1966 gestarteten "Kulturrevolution".

Pünktlich zum 110ten Jubiläumstag des am 26. 12. 1893 im Dorf Schaoschan geborenen Bauernrevolutionärs, dem derzeit in China mit einer Flut von Ausstellungen, Konzerten, Filmen und mehr als hundert neuen Büchern gehuldigt wird, erinnern Parteihistoriker an den krankhaften Argwohn des Kulturrevolutionärs vor dem Verrat an seinem ultralinken Lebenswerk.

Organisierte Intrigen

Im Verlag der Parteidokumente erschien die erste offizielle Mao-Biografie 1949 bis 1976. Sie enthüllt unter Nutzung Hunderter unveröffentlichter Quellen der Parteiarchive, wie Mao Verfolgungskampagnen und Intrigen organisierte. Auf 1798 Seiten dokumentieren die beiden Bände, an denen Historiker jahrelang arbeiteten, die klassenkämpferische Verblendung des "Großen Vorsitzenden", der mit seinen Verbrechen Stalin in nichts nachstand. Den heutigen Alleinherrschern in Peking droht von solcher Geschichtsschreibung keine Gefahr. Die Autoren leiten aus der Biografie weder Kritik an der Partei noch am sozialistischen System ab.

Eine Generation nach Maos Tod wird klar, wie sehr der Vorsitzende mit seinen Ängsten Recht behalten hat. Die Nachfolger haben Maos "Kulturrevolution" über Bord geworfen, aber ihn selbst als Galionsfigur behalten. "Es wird mit uns keine Entmaoisierung geben", hatte Reformer Deng Xiaoping verfügt. Deng ließ nach 1978 alle Opfer Maos rehabilitieren und verbot jede weiterführende Vergangenheitsbewältigung. Auch Chinas neue Führung unter Hu Jintao rüttelt nicht an dem innerparteilichen Konsens.

Zum 110ten Geburtstag kann Mao daher in China wieder kultartig verehrt werden. Die von Korruptionsskandalen erschütterte Partei will nicht nur sein Prestige für ihre eigene Glaubwürdigkeit nutzen, sondern macht auch gleich ein Geschäft daraus. Vor fast 40 Jahren hatte Mao mit seiner "kleinen Roten Bibel" die Kulturrevolution entfacht. Heute verehren sich Neureiche und Herrschaftseliten untereinander Maos Gedichte in seiner Handschrift in einer auf 5000 Bände limitierten Prachtausgabe auf hauchzarten Blättern aus 24-karätigem Gold. Preis: umgerechnet schlanke 1900 Euro.

Fast ebenso teure Bildbände preisen Mao mit seltenen Marken, Münzen und Geldscheinen. Die Telekom kassiert Millionen für SMS-Blumengrüße, die per Handy zu Maos Geburtstag verschickt wenden. Vor dessen seit 1976 im Kristallsarg im Pekinger Mausoleum aufgebahrten einbalsamierten Hülle werden die Besucherschlangen täglich länger. Popgruppen singen Mao-Slogans und Parolen zu zeitgemäßen Rap-Rhythmen. Ärzte, Leibwächter, Köche und vor allem Verwandte Maos kommen in Dutzenden Erinnerungsbüchern zu Wort.

Die kommunistische Bezirksregierung von Schaoschan, wo das von jährlich mehr als einer Mio. Revolutionstouristen besuchte Mao-Geburtshaus steht, lässt ihren großen Sohn gar religiös überhöhen. Kurz vor dem 100sten Geburtstag, als am 20. 12. 1993 eine Mao-Statue enthüllt wurde, behauptete sie, dass sich Sonne und Mond zusammen acht Minuten lang am Himmel gezeigt hätten. Am 26. Dezember hätten dann im Dorf alle Azaleen auf einmal zu blühen begonnen. Ein solches Wunder ist zum 110ten Geburtstag vorerst noch ausgeblieben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 12. 2003)