Allensteig/Wien – Die Stadt Allensteig im niederösterreichischen Waldviertel besitzt kein Hinterland mehr. In etlichen Nächten steht sie unter Beschuss: Kriegslärm und Blitze waffengemachter Explosionen vom "Tüpl", dem Truppenübungsplatz, der die Stadt zur Hälfte umgibt. Als Schutz haben die Bewohner dicke braune Vorhänge vor den Fenstern angebracht.
Ist es dann Tag und sind die Vorhänge beiseite gezogen, so blicken die Allensteiger auf das Wahrzeichen ihrer Kommune: die alte Burg – die aber nicht mehr ihnen gehört, sondern vom Bundesheer als Tüpl-Kommandozentrale genutzt wird. Mehrmals jährlich lädt das Heer die Bewohner zu Festen ein.
Das ist Allensteig im Waldviertel, die Gemeinde mit der höchsten Abwanderungsquote Österreichs. Die Grundstimmung unter den verbliebenen 2500 Bewohnern sei "resignativ", schildert Erich Raith, Architekt und Vorstand des Instituts für Raumplanung an der Technischen Universität in Wien. Selbst strategisch platzierte Pappkameraden – Menschen aus Karton, die hinter Fenstern leer stehender Häuser aufgestellt wurden – hätten die kollektive Gemütsverfassung nicht aufhellen können.
"Verwunschene Stadt"
In der "verwunschenen Stadt" hat Raith im Herbst 2000 zusammen mit Studierenden – werdenden Raumplanern – mehrere Wochen verbracht. Die universitäre Übung wuchs sich zu einem vielschichtigen Projekt aus. Am Ende entschloss sich der renommierte Springer-Verlag, unterstützt von der niederösterreichischen Landesregierung, zu der Veröffentlichung eines beeindruckenden Buches über Grenzen und Perspektiven moderner Kommunalentwicklung am konkreten Beispiel.*
"Was heißt heutzutage ,planen‘? Interesse finden – bei Entscheidungsträgern ebenso wie in der Bevölkerung", erläutert Raith. Um Interesse zu wecken, sei es notwendig, die lokalen "Besonderheiten" zu erfassen: eine Aufgabe nicht nur für Architekten und Bauherren, sondern auch für So 3. Spalte ziologen, Psychologen und Historiker.
Im Fall Allensteig, so der Professor, müsse "vor einem architektonischen Konzept ein therapeutisches stehen". In Gestalt von Verwandlungsspielen etwa, wie sie die Architekturstudentin Isabel Küng vorschlägt, die nach dem Vorbild der italienischen Laguneninsel Burano viel Bunt auf die grauen Allensteiger Häuserfassaden zwingt. Entsprechende digital eingefärbte Stadtbilder wurden auch als Postkarten gedruckt und sollen das Image der Stadt verändern.
Projektionen
Auch die Aufarbeitung der Truppenübungsplatz-Geschichte scheint wichtig, die 1938 mit den Nazis begann: Die Vertreibung der damals mehrheitlich regimetreuen Bewohner der Region diene bis heute als "Projektionsfläche ... für rückwärts gewandte Inszenierungen vom Verlust von Heimat", schreibt die Historikern Ela Hornung.
Da wäre es stattdessen besser, die Zukunft in den Mittelpunkt zu stellen, meint der Allensteiger Bürgermeister Franz Bendinger (VP). Wie es die jungen Raumplaner aus Wien taten, die seiner Stadt "Erneuerung, Hoffnung und Impulse" gebracht hätten.