Zum Jahresende präsentierte sich ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch so, wie man ihn vor zwölf Monaten noch nicht gekannt hat: selbstbewusst, locker, angriffslustig und mit einem trockenen, pointierten Schmäh. Dem in der Vergangenheit so zögerlich und manchmal gehemmt wirkenden Obergewerkschafter scheint das Jahr der Streiks und Demonstrationen ganz ausgezeichnet bekommen zu sein.

Vermutlich hat der offensichtliche Imagewandel seinen Ursprung im gewachsenen politischen Gewicht und der gestiegenen gesellschaftlichen Anerkennung, die der Gewerkschaftsbund im vergangenen Jahr erfahren hat. Es ist bestimmt eine pikante Fußnote der Geschichte, dass ausgerechnet das Kabinett Schüssel II der Sozialpartnerschaft, die in den letzten Jahren oft genug als politisches Auslaufmodell belächelt und zur Seite geschoben wurde, zu einem erstaunlichen Comeback verholfen hat. Mit ihren großen Streiks und Demonstrationen haben die Gewerkschaften realiter vielleicht weniger erreicht, als sie sich erwartet hatten - in das politische Tagesgeschäft haben sie sich damit jedoch eindrucksvoll zurückgebracht. Am Ende des Jahres steht jedenfalls ein Gewerkschaftsbund auf dem Feld der Auseinandersetzung, dem seine konsequente Haltung nicht - wie mancherseits prophezeit oder erhofft - das Lebenslicht ausgeblasen, sondern neue Energien verliehen hat.

Noch vor der Regierung haben die Funktionäre von Wirtschaftsbund und Industriellenvereinigung die Auswirkungen dieser Wandlung erkannt und werden sie sicher als Kostenstellen in allfällige künftige Rechnungen einbeziehen. Unter welchen arithmetischen Vorzeichen das geschieht, wird natürlich die Regierung mitentscheiden - aber eben nicht mehr so ganz alleine, wie sie das wohl gewünscht hätte. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2003/1.1.2004)