Und am Ende eines verlorenen Jahres der Molterer des Monats. (Erläuterung: Der Molterer ist die im schwarz-blau regierten Österreich gängig werdende Einheit für jenes Maß an politischer Unverfrorenheit, das in den Medien gerade noch nicht als Verlogenheit gewürdigt wird. Andere neue Maßeinheiten, die die politische und weltanschauliche Orientierung im Zeitalter der Wende erleichtern sollen, sind etwa der Khol - Messgröße jener spirituellen Entrücktheit, die unter Kirchenfürsten nur noch der Bischof von St. Pölten an einem Laien erträglich findet.

Ebenfalls als praktisch hat sich das Gehrer erwiesen: Jene Fruchtbarkeitsrate, die ein österreichischer Jugendlicher als Dank für Verbesserungen im Schulwesen durch Nichtrauschen von einer Party zur nächsten der Regierung zu garantieren verpflichtet ist. Und ein Lindner bezeichnet jenen Grad an Regierungshörigkeit in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, bei dem ehemaligen Generalintendanten das Geimpfte aufgeht.)

Also der Molterer des Monats. Da hätte die Regierung laut einer Entschließung des Nationalrates den Entwurf zu einer Harmonisierung der Pensionssysteme bis Ende 2003 vorlegen sollen. Sie schustert rasch eine erste Etappe zusammen, indem sie ausschließlich die Arbeitnehmer belastet. Sie denkt nicht daran, bis Ende des Jahres jene zweite Etappe abzuschließen, die erst die Bezeichnung "Harmonisierung" rechtfertigen würde - sie beträfe die Beamten, Gewerbetreibenden und die Bauern.

Sie stellt deren Inkrafttreten lieber gleich für den Anfang des übernächsten Jahres in Aussicht, weil doch laut Molterer das Thema so komplex sei und man sich vorgenommen habe, die Harmonisierung im Konsens mit den Sozialpartnern zu beschließen. Die können sich, ebenfalls laut Molterer, aber genau so gut brausen gehen, denn: Am Ende entscheiden nicht die Sozialpartner, sondern es entscheiden die Regierung und der Gesetzgeber, also die Schwarzen und die Blauen.

Hier wird der Nation, dem Nationalrat und den Sozialpartnern als Neujahrswunsch der Regierung mitgeteilt: Schmecks! Denn dass das Pensionssystem insgesamt komplex, seine Neuordnung daher schwierig ist, kann ja auch die ÖVP nicht erst bemerkt haben, als sie die Harmonisierung in ihr Regierungsprogramm aufnahm, und sogar der FPÖ darf man dieses Wissen zutrauen.

Warum hat sie nicht mit dem schwierigeren Teil begonnen, sondern dort, wo sich die Versicherten - ganz anders als bei Bauern und Gewerbetreibenden - rund neunzig Prozent ihrer Pensionen selber zahlen, der Harmonisierungsbedarf also eher gering war? Bei den einen konnte die Harmonisierung gar nicht schnell genug gehen, bei den anderen soll sie möglichst lange hinausgeschoben werden, es könnt' ja die eigene Klientel treffen.

Der Konsens, den zu suchen sie nun als Vorwand für die Verschleppung des Projektes nimmt, war ihr nicht wichtig, als es um die Arbeitnehmer ging. Ebenso wenig ist er es jetzt, sonst würde Molterer nicht einerseits die gesamte Verantwortung für sein Zustandekommen den Sozialpartnern aufhalsen, diese aber gleichzeitig an ihre Verzichtbarkeit erinnern, weil ohnehin die schwarz-blaue Mehrheit im Parlament beschließen könne, was sie wolle - Binsenweisheit, als Drohung verpackt.

Ehrlicher wäre es zu sagen: Die Pensionsharmonisierung liegt nicht, wie vorgesehen, Ende dieses Jahres vor, weil es 2004 einige Wahlen gibt, die Regierungsparteien nicht besonders gut dastehen und daher nicht auch noch ihre traditionellen Wähler verärgern wollen, nachdem sie schon Pensionisten und Arbeitnehmer gerupft haben. Ehrlich wäre es überhaupt zu sagen: Es wird auch am 1. Jänner 2005 keine Pensionsreform geben, die den Namen Harmonisierung verdient. Verlorene Jahre. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2003/1.1.2004)