In seinem Erstlingsroman "Die 27ste Stadt" lässt der amerikanische Autor Jonathan Franzen eine Verschwörung ablaufen, die den schlimmsten Albträumen professioneller Paranoiker entsprungen sein könnte. Eine indische Einwanderin mit schwer kommunistischer Vergangenheit reißt sich die Exekutive der einstigen Boomtown Stk. Louis unter den Nagel: Sie wird dort Polizeichefin, und das ausschließlich mit dem Ziel, die schlafende Provinzmetropole so zu destabilisieren, dass die Immobilienpreise in den Keller rutschen und der Markt von ihrem in Bombay nur darauf lauernden Clan zum Spottpreis übernommen werden kann.

Die besondere Perfidie an Franzens Plot, der nur in dieser sehr rudimentären Zusammenfassung ein wenig an den Haaren herbeigezogen klingt, liegt nun darin, dass die Verschwörung von einer Person durchschaut wird, die vollkommen dem Klischee eines Verschwörungstheoretikers entspricht: Ein durchgeknallter Ex-general mit stramm rechten Ansichten versucht, dem Treiben Einhalt zu gebieten, verfolgt die Polizeichefin mit einer Privatarmee an Detektiven, beobachtet, überwacht, hört ab, belauert und beschattet sie, und siehe da, die Teile fügen sich zum Ganzen, allmählich wird der teuflische Plan sichtbar, den die Inderin von Anfang an mit grausamer Konsequenz verfolgt hat.

Bloß, dem armen Mann wird nicht geglaubt. Er zetert und warnt, er legt Beweise vor, er deckt Verbindungen und Netzwerke auf, nennt die Beteiligten des Komplotts - es hilft alles nichts, ihm wird nicht geglaubt. Zu tief ist die neue Polizeichefin bereits in das Establishment der Stadt eingebettet, zu eng sind die wirtschaftlichen Interessen ihrer unbewussten Helferlein miteinander verwoben. Der General wird mit seinen Warnungen als lästiger Spinner beiseite geschoben, und als sich seine Prophezeiungen nach und nach erfüllen, bewirkt und beweist das wie im "wirklichen" Leben - genau nichts. Außer eben, dass Narren wie er von der tiefen Komplexität der Zusammenhänge in unserer modernen Welt überhaupt keine Ahnung haben.

Die eigentliche Pointe dieses Buches aber liefert seine Rezeptionsgeschichte. Als es 1988 erschien, wurde es als Erstlingswerk eines hochtalentierten Autors wohlwollend angenommen und gleich wieder zur Seite gelegt. Mit den "Korrekturen" schaffte Franzen dann den Durchbruch - und zwar ausgerechnet in jenem September 2001, der vor allem in den USA eine neue Hochkonjunktur an Verschwörungstheorien ausgelöst hat und seither in den Kalendern ihrer Verfasser als magisches Datum angezeichnet ist. Unter dem Eindruck des Terroranschlages auf das World Trade Center neu gelesen, avancierte der 1988 geschriebene Roman im Nachhinein zur prophetischen Analyse eines bisher unbekannten, global denkenden und handelnden Terrors, den Franzen so, wie er selbst betonte, weder gemeint hatte noch vorhersehen konnte.

Sein Werk hatte sich in einem hysterisierten Diskurs um 11/9 verselbstständigt, der einerseits von einem breiten, die USA flächendeckend überlagernden patriotischen Konformismus und andererseits von einem Boom an Verschwörungsthesen begleitet wurde, aus dem selbst so abstruse wie die, dass die US-Regierung selbst hinter dem Anschlag stecke, nicht mehr als genuine Blödheit herausragte. Es wäre müßig, auf die historische Traditionen solcher Theorien zu verweisen, die in den USA vom Philadelphia-Experiment über diverse UFO-Besuche bis hin zu den immer noch beliebten Mehrtäter- und Mafiahypothesen im Kennedy-Mord reichen. Oder auf ihre europäischen Varianten, von den historisch unheilvollen der jüdischen und freimaurerischen Weltverschwörung, den Illuminaten bis hin zu so trivialen, dass nicht ein besoffener Chauffeur, sondern der britische Geheimdienst Lady Diana auf dem Gewissen habe. Interessant ist vor allem die Machart der Verschwörungstheorien, und die lässt sich in Franzens erstem Buch anschaulich darstellen.

Entscheidend für das Funktionieren jeder Verschwörungstheorie ist ihre Hermeneutik und ihre Selbstbezüglichkeit. Da sie nicht widerlegt werden kann und in ihrer Argumentation stets auf sich selbst verweist, ist ihr mit Logik nicht beizukommen - sie ist in ihrem fiktiven Gehalt wahrer als die Realität, besser als Literatur, die ja zumindest in ihrer Wirkungsgeschichte einen Bezug zur Wirklichkeit herstellen muss, auf die sie sich bezieht. Die Verschwörung braucht das geheimnisvolle Raunen, mit der sie die Affen der Angst einzufangen versucht, deren Bändigung sie der kollektiven oder individuellen Vernunft nicht mehr zutraut. Vor allem aber braucht sie, und das ist entscheidend, das Einverständnis ihrer Anhänger, sich ihr auszuliefern: Wir werden von Verschwörungstheorien nicht gefügig gemacht, sondern liefern uns willentlich aus. Dagegen kämpfen selbst Götter vergebens, falls sie sich nicht vor Lachen über uns die Bäuche halten oder gegen einander verschwören. (DER STANDARD, Printausgabe vom 3./4.1.2004)