Bewegende Szenen spielten sich am Neujahrstag auf dem Flughafen von Neu-Delhi ab. Pakistaner und Inder fielen einander mit Tränen in den Augen um den Hals. Zum ersten Mal seit zwei Jahren, seit dem Terrorangriff auf das indische Parlament, hatte eine pakistanische Verkehrsmaschine wieder eine Landeerlaubnis auf indischem Boden erhalten.

Nach dem Anschlag, für den Indien die pakistanische Regierung zumindest mitverantwortlich machte, hatte sich das traditionell schlechte bilaterale Verhältnis zwischen den beiden atomaren Nachbarn einem neuen Tiefstpunkt genähert. Im vergangenen Frühling lancierte der indische Premierminister Atal Behari Vajpayee dann überraschend - und nicht zuletzt auf internationalen Druck hin - eine Friedensinitiative: Bevor man in direkten Gesprächen auf jenes Problem eingehe, welches indischen und pakistanischen Politikern schon seit über 50 Jahren unter den Nägeln brenne, nämlich die Zugehörigkeit Kaschmirs, sollten die beiden Staaten vorerst einmal verlorenes Vertrauen wieder herstellen.

Die Wiederherstellung des Luftverkehrs zwischen den beiden Ländern war eine der "vertrauensbildenden Maßnahmen", auf die sich Delhi und Islamabad einigen konnten. Aber auch sonst hat sich seit dem vergangenen Frühjahr zwischen Indien und Pakistan einiges bewegt: Die beiden Länder haben ihre vor zwei Jahren abgezogenen Botschafter wieder eingesetzt. Der Busbetrieb zwischen der pakistanischen Grenzstadt Lahore und Delhi wurde wieder aufgenommen. Parlamentarier, Künstler, Kleriker und Intellektuelle aus beiden Ländern haben das jeweils andere besucht.

Und seit über vier Wochen schweigen entlang der provisorischen Grenze in Kaschmir auf Vorschlag Pakistans all jene Geschütze, mit denen sich die pakistanische und die indische Armee in den vergangenen Jahren mit unschöner Regelmäßigkeit Gefechte und Scharmützel lieferten.

Jetzt, seit der indische Premierminister seine Teilnahme am Gipfeltreffen der Staats-und Regierungschefs der südasiatischen Vereinigung für Regionale Zusammenarbeit (SAARC) in Islamabad bekannt gab und ein Treffen Vajpayees mit Pakistans Präsident Pervez Musharraf bevorsteht, steigen die Erwartungen ins Unermessliche. Nach all den Jahren der Feindschaft zwischen den beiden Ländern, die schon zweimal über das von beiden Seiten beanspruchte Kaschmir gegeneinander in den Krieg gezogen sind, ist dies nicht anders zu erwarten.

Denn die traditionelle Feindschaft, welche die beiden 1947 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten entzweite, hat nicht nur in Indien und Pakistan mögliche wirtschaftliche Fortschritte verhindert. Dass die von der SAARC stipulierte wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht möglich ist, wenn sich zwei der Hauptakteure ständig in den Haaren liegen, das haben auch die übrigen SAARC-Mitglieder in den vergangenen Jahren immer wieder am eigenen Leib gemerkt.

Bill Clintons Wahlweisheit trifft auch auf das indisch-pakistanische Tauwetter zu: "It's the economy, stupid!" Denn die Erkenntnis, dass normale Beziehungen auch wirtschaftlich befruchtend wirken können, trug - gepaart mit massivem internationalem Druck - mit dazu bei, dass die beiden atomaren Erzfeinde jetzt dialogbereiter sind. Experten beziffern heute den Handel innerhalb der sieben SAARC-Staaten auf 610 Milliarden US-Dollar. Die nun von der SAARC vorgeschlagene südasiatische Freihandelszone könnte gar zu einer Verdoppelung dieses Handels führen.

Zudem hatte der indische Premier Atal Behari Vajpayee Recht, als er am Sonntag in seiner Ansprache vor dem SAARC-Plenum meinte, das Image und das Ansehen dieser Region in der Welt müssten verbessert werden. Allerdings: Vertrauensbildende Maßnahmen können nur der Anfang sein. Früher oder später werden Delhi und Islamabad über das Kernproblem, über Kaschmir, sprechen müssen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5./6.1.2004)