Michael Nyman, Pet Shop Boys, Kraftwerk oder Carla Bley: Alexander Balanescu ist beständig auf der Suche in den "Grauzonen" zwischen den Stilen und Gattungen.

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Wien - "Rumänien ist mir noch immer sehr nahe, ja, es wird für mich immer wichtiger, vielleicht, weil die Volksmusik in diesem Land, in dem der wirtschaftliche Modernisierungsprozess langsamer vorangeht als anderswo, so kraftvoll und vielfältig ist."

35 Jahre sind eine lange Zeit. Für Alexander Balanescu, der 1969 im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie aus Rumänien emigrieren konnte, freilich nicht lange genug, um seine Wurzeln zu vernachlässigen. Der in London beheimatete Komponist und Violinist, der 1992 mit seinen Streichquartettversionen von Kraftwerk-Klassikern wie Autobahn zum Crossoverstar aufstieg, fühlte sich ausgesprochen wohl im Kontext jenes "Jazz aus Rumänien"-Festivals, das noch bis Freitag im Wiener Porgy & Bess über die Bühne geht. Und bei dem er am Sonntag in einer Solo-Violin-Performance für einen Höhepunkt sorgte.

Balanescu bot Auszüge aus seinem Filmsoundtrack zu Guido Chiesas Il Partigiano Journey, rokokohafte Melodiephrasen, die zu mantrahaften Sound-Tableaus expandieren. Oder sechs Capriccios aus Michael Nymans Yamamoto perpetuo.

Es sind oft erstaunlich schlichte, tonale Klänge, die Balanescu da inbrünstig intoniert, die nicht immer klischeefrei und inspiriert wirken, zuweilen aber trotz ihrer fast unverschämten Nichtvirtuosität kluge dramaturgische Plots in sich tragen: Etwa wenn in Balanescus Fassung des Wiegenlieds Cîntec sowohl vom Band als auch live die verhackstückten Melodieteile sukzessive zueinander streben, um erst am Ende ihre feste Form zu finden. Oder wenn in der zweiten der Three Studies for Mirjam eine barocke Phrase repetitiv im Zeitlupentempo zu implodieren beginnt, bis nur mehr ein winziger Tonnukleus übrig bleibt.

Klingt einfach, aber . . .

"Man braucht Mut, um diese Musik zu spielen", sagt Balanescu im Gespräch. "Vor allem Mut zur Schlichtheit. Auch wenn nicht alles so einfach zu spielen ist, wie es klingt." Dass er sein Instrument indessen in allen technischen Finessen gründlichst erforscht hat, weiß man.

Schließlich war der 49-Jährige ab 1983 drei Jahre lang Mitglied des Arditti-Quartetts, der Popband unter den Avantgardeensembles, deren Tätigkeitsfeld dem Violinisten bald zu eng erschien. "Ich wollte Musik spielen, die nicht nur für einen kleinen Kreis gut informierter Hörer bestimmt war. Ich habe auch Auftragskompositionen etwa für Michael Nyman und Gavin Bryars angeregt, merkte dann aber, dass die Umsetzung dieser technisch nicht sehr anspruchsvollen Stücke dem Quartett Probleme bereitete. Alles zusammen gab den Ausschlag, dass ich 1987 das Balanescu-Quartett gründete."

Die Welt der (Post-)Minimal Music schien den Weg zum Publikum zu ebnen, ohne musikalisch auf spannungsvolle Investigationen verzichten zu müssen. Vor allem Michael Nyman, als dessen bevorzugter Interpret Balanescu gilt und an dessen Arbeiten er oft partizipierte (etwa zum Peter-Greenaway-Film Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber), mutierte zur wichtigen Inspiration. Dennoch blieb Balanescu nach allen Richtungen zwischen Pet Shop Boys und Carla Bley offen.

"Ich bin immer an den Grauzonen dazwischen interessiert", sagt Balanescu über sich. "Und ich versuche dabei, in die Tiefe zu gehen. Das Kraftwerk-Projekt war von tiefem Respekt gegenüber der Musik getragen, die ich für ebenso wichtig wie diejenige Karlheinz Stockhausens halte. Viele andere, etwa Nigel Kennedy, geben sich mit einem oberflächlichen Flirt zufrieden. Crossover kann gut sein, wenn es fundiert ist; meistens ist es eine Falle." (DER STANDARD, Printausgabe, 7.1.2004)