Andreas Khol - um nur ein Beispiel zu nennen -, gebildet, manierlich und sehr schlau, scheint noch nicht realisiert zu haben, dass das Spiel, wie er es bisher zu spielen gewohnt war, vorbei ist. Obwohl seiner Volkspartei vier Fünftel des Volkes abhanden gekommen sind, hat er es zusammen mit seinen Freunden verstanden, sich einzureden - eine Meisterleistung kollektiver Suggestion -, dass immer noch alles von höchster Wichtigkeit sei, was er da tut, redet und abhandelt.

Gerne verwendet er Begriffe wie Vaterland, Heimat oder Republik, um seinen Sprüchen den gebührenden Fond zu geben - und merkt nicht, dass das Publikum schon beginnt, sich zu verlaufen und in ihm einfach einen Menschen wie du oder gar ich zu sehen: Und da fehlt dann halt die Perspektive von unten, in die der so Betrachtete die ihn Betrachtenden immer noch gewohnheitsmäßig hineindenkt.

Tatsache ist, dass die Volkspartei keine mehr ist, die SPÖ keine Arbeiterpartei und die Freiheitlichen von der Partei des kleines Mannes bis zum Milliardär Prinzhorn oszilliert, der ich weiß nicht welche Interessen vertritt. Alle drei aber vertreten natürlich das Interesse Österreichs, seiner Bürger und so fort.

Das Problematische an der momentanen Situation ist, dass alle Mitspieler im Koalitionspoker sich öffentlich noch gar nicht positioniert haben. Sie treten noch in den ihnen vertrauten alten Rollen und Klamotten auf (und mit dem alten Verständnis von ihrer Rolle), doch was gespielt wird (und zu spielen ist), hat sich im Lauf der Zeit - langsam, aber stetig - vollkommen geändert.

Viktor Klima wirkt bei seinen Aufritten wie ein Messias der tausendprozentigen Entschlossenheit: Das Gesicht bleich, maskenhaft starr, präsentiert er sich als jemand, der sich höheren Prinzipien verschrieben hat (höheren jedenfalls als die Normalsterblichen) und von ihnen angetrieben und bewegt wird. Bloß: Was sind das für Prinzipien? Und wem dienen sie? Ach ja: dem Wohl des Landes, seiner Bürger und so fort.

Doppelter Boden

Tatsache ist, dass die Sozialdemokraten sich schon von Anbeginn der Ära Vranitzky auf eine doppelgleisige Strategie verlegt haben: einerseits über den Gewerkschaftsflügel "klassische" linke Politik, andererseits in der Regierung eine beinah liberalistische Politik. Hie Staatsinterventionismus, dort freie Marktwirtschaft. Akrobat schön!

Zusammengehalten wurde das Ganze durch die Propagierung von Antifaschismus, durch einen eher verschwommenen Humanismus und durch eine republikanische Grundsätze im Grund konterkarierende Verschweißung von parlamentarischem Mandat und körperschaftlicher Funktion.

Gerade der letzte Punkt trägt nicht wenig zur Starrheit und Unbeweglichkeit in der gegenwärtigen Situation bei: Dass der Gewerkschaftsflügel sich zum Bannerträger sozialer Gesinnung aufspielen kann, liegt nicht in den Inhalten begründet, die dort vertreten und hochgehalten werden, sondern in der Macht, die im Doppelspiel - hie Parlament, dort Gewerkschaft - der Mannschaft um Verzetnitsch zukommt.

Der Weg zu einer Sozialdemokratie, die sich modern nennen dürfte und doch ihrem grundlegenden Auftrag - Sei auf der Seite der Schwachen! - treu bliebe, scheint grundlegend verbaut. Fehlt nur noch die Selbst-Verkuppelung mit den Freiheitlichen, um die Zukunft endgültig zu verkaufen.

Und was will die ÖVP? - moderne Wirtschaftspartei sein, Volkspartei, christlich, den Bauernstand vertreten, für mehr Föderalismus kämpfen und Österreich als Ganzes besser und effizienter in die europäischen Strukturen einbinden: Derartig viele Widersprüche machen es natürlich verständlich, dass die einzige Vision einer solchen Partei nur sein kann, alles so weiterzumachen wie bisher - jetzt erst recht.

Wilde Mischung

Spagat-Vorturner Nr. 3: Dank der populistischen Taktik ihres Führers stellt die Freiheitliche Partei ab ovo wohl das krudeste Gemisch von Ideen und vor allem Versprechungen dar. Ich will nicht gegen Flat Tax oder Kinderscheck polemisieren, aber allein an diesen beiden Vorhaben - einander gegenübergestellt - lässt sich das, freundlich gesagt, paradoxe Wesen der Freiheitlichen anschaulich dokumentieren: Hilft die Flat Tax dem Millionär, noch reicher zu werden, bekommt der Bedürftige beziehungsweise jedermann/ frau aus nicht vorhandenem Steuergeld Geschenke ins Körbchen gelegt. So gesehen sind die Freiheitlichen, was programmatischen "Reichtum" betrifft, schon jetzt die führende Partei dieses Landes.

Die Fähigkeit, sich wie ein Chamäleon zu wandeln, wurde an Jörg Haider ja schon früh gerühmt. Könnte es vielleicht sein, dass gerade diese Meisterschaft ihn zur Führerschaft auf der Bühne der österreichischen Innenpolitik geradezu prädestiniert? Heute mit einem Rabbi, morgen mit einem SS-Veteran - wer weiß, vielleicht ist gerade das die richtige Mischung für unser Land!

Facit: Wir wissen zwar, wer im Moment mit wem redet, doch wer da spricht, ist schwer zu sagen - egal, ob es Klima mit Schüssel, Schüssel mit Haider oder (künftig?) Haider mit Klima tut.

Denn wer diese Herren - politisch - wirklich sind und was sie wirklich wollen, weiß keiner.

Zudem ist zu befürchten, dass wir wohl noch geraume Zeit in dieser Zone des politischen Zwielichts, im Reich des verschwommenen Durcheinanders und der verwischten Fronten leben müssen. Auch dann noch, wenn die wie immer benannten oder beauftragten Gespräche zwischen den Parteien schon längst beendet sein werden.

Das aber wird uns - und jetzt meine ich das Land und seine Bürgerinnen und Bürger - gar nicht gut tun.

Peter Rosei, Schriftsteller, lebt in Wien.