Cambridge - Etliche Mathematiker haben schon mögliche Beweisführungen publiziert, allesamt wurden sie jedoch von von ihren Kollegen widerlegt. Kaum ein anderes Problem beschäftigte Zahlenakrobaten in jüngster Zeit so stark wie die "Poincaré-Vermutung", welche das Clay Mathematics Institute in Cambridge, Massachusetts, im Jahr 2000 unter die sieben wichtigsten ungelösten Rätseln der Mathematik gereiht und für dessen Lösung es eine Prämie von einer Million Dollar (rund 790.000 Euro) ausgelobt hatte. Nun streckt ein Russe seine Hände nach dem Geld aus.

Mathematiker in aller Welt sind seit November 2002 damit befasst, Grigorij Perelmans Arbeiten darüber auf Fehler hin zu untersuchen - ohne Erfolg. So lange hielt noch keine Beweisführung der Prüfung stand. Perelman arbeitet am Petersburger Steklow-Institut seit Jahren an dieser Frage und veröffentlichte dazu drei Forschungsartikel. Was aber steckt dahinter?

Der französische Mathematiker Jules Henri Poincaré hatte sich 1904 einer zentralen Frage der "Topologie" zugewandt: Wie kann man bestimmte geometrische Objekte, die drei oder mehr Dimensionen haben, durch möglichst einfache Eigenschaften charakterisieren? Kugeln wie der Erdball besitzen eine Oberfläche (zweidimensional in dreidimensionalem Raum) mit besonderen Eigenschaften: Sie haben weder Ränder noch Löcher. Legte man ein Lasso um die Oberfläche, könnte man es an jeder Stelle zusammenziehen, bis es nur noch aus einem Punkt besteht - ohne dass das Seil die Oberfläche durchschneidet oder zerquetscht. Das geht nur bei Kugeln oder bestimmten Verzerrungen, etwa einem Ei.

Bei Objekten mit einem Loch (einem Reifen), gilt diese Lasso-Regel nicht - daraus folgt der Satz: Jede (zweidimensionale) Oberfläche, bei der man ein ausgelegtes Lasso auf einen Punkt zusammenziehen kann, ist eine Kugel (oder eine Verzerrung davon).

Doch wie sind die geometrischen Verhältnisse in höheren Dimensionen? Welche Eigenschaft hat die dreidimensionale Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel? Poincarés Vermutung: Sie ist lochfrei, randlos, kann ebenfalls mit der Lasso-Eigenschaft charakterisiert werden - möglicherweise ist auch unser Universum so eine Art dreidimensionale Oberfläche in einem vierdimensionalen Raum. Beweisen konnte es der Franzose jedoch nicht. Perelman soll dies nun geglückt sein. (fei/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 1. 2004)