Wien - Gerüchte seien genug umgegangen, dass irgendwo in einem Keller der
Universität wertvolle Bücher zur Geschichte der Medizin lagern könnten. Aber
so recht darum gekümmert habe man sich nicht. Kurz vor Weihnachten ging es
dann Schlag auf Schlag. In einem Untergeschoß im Geviert zwischen dem Wiener
AKH und dem Institut für die Geschichte der Medizin in der Währinger Straße
habe man Unmengen von Schachteln entdeckt, berichtet Medizinhistorikerin
Sonia Horn. Unter anderem wurden sehr alte medizinische Bücher über
Frauenkrankheiten gefunden.
"Sehr selten"
In einem mit 1712 datierten Buch beschreibt ein französischer Arzt
"Krankheiten in der Schwangerschaft". Sonia Horn, die an der Wiener
Universität über Geschlechterrollen in der Geschichte der Medizin forscht,
ist begeistert über den Fund: "Es ist sehr selten, dass aus dieser Zeit etwas
vorhanden ist zu dem Thema." Die Medizin sei fast ausschließlich aus
männlicher Sicht dokumentiert worden. Da seien Frauenanliegen nicht
vorgekommen. Auch sei dazu bis dato fast nur Literatur aus der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts bekannt.
Originalmaterial zum Werk von Guido Holzknecht
Neben derart besonderen Buchschätzen fand sich in den Schachteln auch viel
Originalmaterial zum Werk von Guido Holzknecht. Ganze Dia- und Vortragsserien
zum Aufbau der Röntgenologie am Wiener AKH steckten in den Schachteln.
Vorträge, die Holzknecht erstellt hat. Auch eine Vielzahl von Ambulanzkarten
kamen zum Vorschein. Auf deren Grundlage könne man die Entwicklung der
In-vitro-Fertilisation nachzeichnen, glaubt Sonia Horn an aussagekräftiges
Material.
Räumung in der Nacht
Der aus medizinhistorischer Sicht wertvolle Fund wäre aber beinahe vernichtet
worden. Denn eines Tages habe es seitens der Universitätsverwaltung geheißen,
der Keller werde als Möbellager gebraucht, in der Annahme, dort lagere
Wertloses. Binnen Tagen mussten die Schachteln geborgen werden,
Kulturgüterschutz wurde schnellstens beantragt, damit sie nicht im Müll
landeten. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion "haben wir uns hingestellt und
haben den Staub gefressen", lacht Sonia Horn im Rückblick auf eine nächtliche
Rettungsaktion von ihr und Institutsvorstand Michael Hubenstorf. Der Bestand
wurde auf mehrere Archive und Bibliotheken verteilt, in denen nun die
Sicherung der wertvollen Bücher als österreichisches Kulturgut besorgt wird.
(D
ER
S
TANDARD
, Print-Ausgabe, 9.1. 2004)