Israels Präsident Moshe Katzav, in Israel als Zwischenrufer nicht gerade unumstritten, hat Ministerpräsident Ariel Sharon einen großen Dienst erwiesen. Durch seine medial verkündete, in Beleidigungen gebettete Einladung an Syriens Präsident Bashar al-Assad, nach Jerusalem zu kommen (der in einer ersten öffentlichen Reaktion aus Damaskus prompt eine abschlägige Antwort beschieden wurde), ist es ihm gelungen, den Spieß umzudrehen.

Monatelang hatte Syrien vergeblich Avancen gemacht, jetzt ist es wieder umgekehrt: Syrien lehnt ein israelisches Angebot ab, wenngleich eines, das auch in Israel niemand ernst nimmt. Die Geschichte hatte völlig anders angefangen - und auch im Standard vorige Woche ihren Niederschlag gefunden, wo ein an Geheimgesprächen mit Syrien beteiligter ehemaliger hoher israelischer Beamter im Interview mitteilte, Assad sei zu "dramatischen Gesten nach dem Muster Sadats" bereit: Der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat war bekanntlich 1977 zur Bekundung seines Friedenswillens nach Jerusalem gereist. Die Idee kam also von Assad selbst, nicht von Katzav.

Nun erwartet kein Mensch, dass Israel in großen Jubel ausbricht, es gibt tatsächlich viele Fragen: Wie ernst sind Assads Avancen zu nehmen, wenn man sie hauptsächlich als Ausweichmanöver, um dem US-Druck zu entgehen, versteht? Wie stark ist Assad, wie stehen die starken Männer im Regime zu seinen Positionen, kann er Frieden schließen, und wird dieser halten? Ist Israel bereit, gegen den US- Wunsch - Washington hat ja seine eigenen Pläne mit Damaskus - zu handeln, insbesondere im Licht der ohnehin angespannten US-israelischen Beziehungen?

Und will man verhandeln, solange Damaskus im Kalten Krieg mit Israel weiter auf "proxies", Stellvertreter, vom Schlage einer Hisbollah setzt? Die israelische Regierung hat letztere Frage bereits mit Nein beantwortet, wie sie ja auch von der palästinensischen Regierung verlangt, zuerst jegliche Gewalt gegen Israel - auch die, für die die Palästinenserbehörde nicht verantwortlich ist - einzustellen.

Hinter vorgehaltener Hand wird einem aber fast jeder israelische Analyst bestätigen, dass es mit Syrien ja eigentlich so gut wie keine Probleme gebe. Was nichts anderes heißt, als dass für Israel der Anreiz, "Frieden für Land" mit Syrien zu schließen, nicht besonders groß ist. Wenn Frieden das Gegenteil von Krieg ist, sagte ein Mitglied eines namhaften israelischen Thinktanks unlängst zum Standard, dann brauche Israel ihn nicht: Denn es gebe ja auch keinen Krieg mit Syrien.

Der israelische Finanzminister und frühere - und vielleicht auch zukünftige - Likud-Chef Benjamin Netanyahu brachte es vorige Woche auf den Punkt: Gespräche mit Syrien seien zu begrüßen, eine Rückgabe des Golan an Syrien werde es nicht geben. Die Lage sei heute so: Die Syrer "brauchen den Frieden mit uns wie die Luft zum Atmen. Sie brauchen diesen Frieden viel mehr als wir." Mit einem Wort, Netanyahu meint, Israel brauche den Golan weit dringender als Frieden mit Syrien. Der wird auch so irgendwann einmal kommen.

Tatsächlich hat sich auch unter Beobachtern schon kurz nach dem Scheitern des Treffens zwischen Hafiz al-Assad und dem damaligen Präsidenten Bill Clinton im Jahr 2000 die Meinung durchgesetzt, dass Syrien - damals weit weniger unter Druck als heute nach dem Irakkrieg - eine einmalige Chance verstreichen ließ, als es darauf verzichtete, den Golan mit Ausnahme des Ostufers des See Genezareth zurückzubekommen.

Allerdings wird die damalige syrische Haltung wieder verständlicher, wenn man die Aussage des - nicht gerade als israelfeindlich bekannten - US-Vermittlers Dennis Ross kennt, der sagt, dass Israel da hinter bereits vereinbarte Positionen zurückgekehrt war: Ehud Barak habe eben "kalte Füße bekommen".

"Kalte Füße" auf der Gegenseite waren jedoch für die israelischen Regierungen stets Anlass, ihren Gesprächspartnern den Friedenswillen an sich abzusprechen. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2004)