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Grafik: APA
Immer mehr betroffene Eltern wenden sich an Kriseninterventionszentren. Experten sehen eine gesunkene Aggressionsschwelle und fehlende Grenzen in der Erziehung als Ursache.

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Wien/Linz - Experten von Kriseninterventionsstellen und psychosozialen Notdiensten machen auf eine neue Facette des Themas Gewalt in der Familie aufmerksam: Offenbar werden immer mehr Mütter und Väter von ihren heranwachsenden Kindern geschlagen. "Wir haben in den vergangenen Jahren deutlich mehr Fälle zu betreuen, in denen sich verzweifelte Eltern an uns wenden, die von ihren eigenen Kinder geschlagen wurden", ist Klaus Schmid von der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft alarmiert.

Es sei schwer herauszufiltern, "inwiefern die Anzahl der gewalttätigen Übergriffe gegen Eltern gestiegen ist", es sei aber "deutlich bemerkbar, dass immer mehr Fälle bekannt werden", so Schmid. Der Tabubruch sei spürbar: "Was früher noch blamabel war und bewusst verschwiegen wurde, wird heute immer öfter thematisiert", erläutert der Experte.

Auch in Oberösterreich ist dieser "Trend" zu tätlichen Übergriffen gegen Eltern spürbar, erklärt die Leiterin der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, Maria Schwarz-Schlöglmann. "Im Jahr 1999 waren es noch neun Fälle, 2003 war eine Zunahme auf 27 Fälle zu verzeichnen", erläutert die Expertin. Neben diesen "offiziellen Zahlen" müsse man von einer "außerordentlich hohen Dunkelziffer" ausgehen, befürchtet Schwarz-Schlöglmann.

Gründe

Die Gründe für die Gewaltausbrüche gegen die Eltern - die oft mit schweren Verletzungen enden - seien vielfältig: "Betroffene Jugendliche haben meist keine anderen Konfliktlösungsmodelle als das Zuschlagen gelernt, in manchen Fällen bekommen Eltern auch das zurück, was sie über Jahre vorgelebt haben." In mehr als 90 Prozent der bekannt gewordenen Fälle gehe es um Gewalthandlungen männlicher Jugendlicher gegen die Eltern. Vereinzelt seien auch Geschwister Opfer brutaler Übergriffe, so Schwarz-Schlöglmann.

Hemmschwelle gesunken

"Die Spirale der Gewalt dreht sich einfach heute um einiges schneller, die Hemmschwelle für Aggressionsausbrüche ist deutlich gesunken - das ist eben auch bei Übergriffen gegen die Eltern bemerkbar", meint der Kinderpsychiater Max Friedrich im Gespräch mit dem STANDARD. Der Ursprung solcher Gewalttaten liege sicher auch in einem generellen Wandel unserer Gesellschaft: "Viele Eltern leiden heutzutage unter einem Autoritätsverlust. Eltern geben ihrem Nachwuchs bis zu einem gewissen Alter fast alles, die Kinder lernen nicht mehr zu verzichten", so Friedrich.

Eine logische Folge sei dann oft das Scheitern des verzweifelten Versuchs diverser Eltern, "mit Beginn der Pubertät doch Grenzen setzen zu wollen". Wenn dann - so der Psychiater - keine adäquaten Lösungsmodelle innerhalb der Familie vorhanden sind, kann so eine Situation "durchaus eskalieren".

Auch die Medien hätten ihren Teil zu einer so hohen Gewaltbereitschaft beigetragen. Friedrich: "Kinder bekommen durch Videos oder Computerspiele quasi vorgelebt, dass es cool ist, Autorität durch Gewalt zu brechen." Man müsse natürlich die einzelnen Fälle immer individuell beurteilen und "das Umfeld des gewaltbereiten Kindes miteinbeziehen". Es sei aber auf jeden Fall psychologische Hilfe notwendig, da sonst die große Gefahr bestehe, dass "Kinder die Gewalt quasi aus der Familie in die Gesellschaft mitnehmen", so Friedrich. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2004)