Schier unerträglich ist die Spannung, die über dem Land liegt. Wäre nicht morgen der langersehnte Tag, an dem der ÖVP-Obmann endlich jenes bunte Überraschungsei legen will, dessen Gelbes nach seinem Willen ab Juli die Hofburg schmücken soll – keine 24 Stunden länger hätten wir es ausgehalten, ohne vor Neugierde zu platzen.

Begackert wurde der Vorgang ja schon zu einer Zeit, als die meisten Wählerinnen und Wähler noch gar keine Ahnung hatten, zu welch günstigen Konditionen sich eine vor Gott geschlossene Ehe vor Wahlen annullieren lässt, damit ein sakramentaler Zweitversuch auch irdische Früchte tragen kann.

Da bekam die alte Angst, Volkes Stimme könnte womöglich doch Gottes Stimme sein, neue Nahrung, sie dürfte sich aber in Zeiten, in denen Gott nicht einmal mit Andreas Khols Förderung den Sprung in die Verfassung schafft, als unbegründet erweisen.

Wen wird Wolfgang Schüssel wohl ausersehen? Natürlich gibt es einen weit verbreiteten Verdacht, aber muss er sich auch erhärten? Der Kanzler hat jedenfalls wieder einmal jene berühmten eisernen Nerven bewiesen, vor denen ganz Europa zittert.

Im Wissen, dass die Bevölkerung in einem Wahljahr wie diesem nicht auch noch einen langen Präsidentschaftswahlkampf will, ließ er die SPÖ mit der Nominierung ihres Kandidaten vorpreschen, um ein paar Tage später die geheime Person seines Vertrauens bekannt zu geben – eine taktische Meisterleistung, die ihm ein unter den Belästigungen der Demokratie ächzendes Wählervolk gewiss danken wird.

Ohne Zweifel war es für ihn auch eine Zeit des härtesten inneren Ringens. Wer ist wirklich würdig zu nennen in Zeiten, in denen das Anforderungsprofil für das höchste Amt im Staat immer diffuser wird? Der Bundespräsident hat zwar keine besonderen Kompetenzen (was dem Kanzler gefällt), aber die sollte er laut Umfragen etwa so ausüben, als wäre er eine Mischung aus Bruno Kreisky und Kardinal König (was dem Kanzler schon weniger gefällt).

Er oder sie soll außenpolitisches Ansehen genießen (wenn es schon nicht die Regierung tut), aber keinesfalls davon Gebrauch machen (wir wollen Europa nicht verwöhnen). Visionen jeglicher Art sind unerwünscht, Durchsetzungsvermögen selbst in Ansätzen ist es erst recht.

Über den Parteien stehen darf er/sie schon, ausgenommen es handelt sich um die Volkspartei. Zuwiderhandeln, selbst versuchsweise, wäre wie schon in der Vergangenheit durch öffentlich gezeigte Missachtung zu ahnden.

Trotz dieser strengen Auswahlkriterien ließen etliche aus den Reihen der ÖVP ihr Interesse an dem Job erkennen, und sei es durch Leugnen. Erwin Pröll hatte schon die Kronen Zeitung als Unterstützung gewonnen, zog aber dann zurück – wegen Überqualifizierung, wie er zerknirscht gestand.

Bei ihm hätte es aber für Schüssel auch mit dem Durchsetzungsvermögen gehapert – zu viel! Waltraud Klasnic hätte sich als Frau die Hofburg schon vorstellen können, aber die Steirerin in ihr war stärker. Elisabeth Gehrer wiederum hätte zwar an den Universitäten und Mittelschulen des Landes Scharen begeisterter Unterstützer ihres Wechsels in die Hofburg gefunden, für die Anforderungen des Präsidentenamtes galt dann aber ihr Kulturbegriff als nicht volksverbunden genug.

In dieser schwierigen Situation erwies sich der alte ÖVP-Haudegen Kurt Bergmann wieder einmal als Hoffnung der Erniedrigten. Des Zauderns müde stampfte er – ohne viel zu fragen – ein parteiunabhängiges Komitee aus dem Boden und hob mutig das Alter Ego des Kanzlers auf den Schild der Unparteilichkeit. Als dieses merkte, wer gemeint war, erklärte sie der Krone sofort begeistert: „Ich kandidiere!“

Der alte Egozentriker wurde erst gar nicht gefragt. Kann Schüssel jetzt noch zurück? Nur noch ein Tag, dann werden wir es wissen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2004)