London/Zürich - Die Wiederherstellung der irakischen Souveränität ohne Wahlen beschäftigt am Mittwoch europäische Pressekommentatoren. Das Übergangsparlament soll nach dem Willen der Amerikaner in einem "Auswahlverfahren" bestimmt werden, während der oberste geistliche Führer der schiitischen Bevölkerungsmehrheit, Großayatollah Ali Sistani allgemeine Wahlen verlangt.

"Financial Times":

"Wenn die Befreiung der Iraker - was Washington nun als eigentliches Ziel des Krieges nennt - jemals irgend etwas bedeuten soll, ist dies eine Verschiebung der Macht hin zur unterdrückten schiitischen Mehrheit. Die Herausforderung dabei ist, wie dies so verwirklicht werden kann, dass die Sunniten und die Kurden einen gerechten Anteil im neuen Irak bekommen. Dies können nur die Iraker bestimmen, und der beste Weg wäre, wenn sie selbst eine Volksversammlung wählen."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Die schroffe Ablehnung des geplanten Auswahlverfahrens durch den schiitischen Großayatollah Sistani hat die amerikanische Regierung in eine schwierige Lage gebracht. In Washington ist man sich bewusst, dass Sistani in der schiitischen Mehrheitsbevölkerung große Autorität genießt. Gleichzeitig sehen die USA jedoch keine Möglichkeit, bis zur geplanten Übergabe der Regierungsgewalt an die Iraker Direktwahlen durchzuführen. (...) Sistani prangert offen die mangelnde Legitimität des Auswahlverfahrens an und warnt vor einer Destabilisierung des Landes. Darüber, ob dies als verhüllte Drohung aufzufassen ist, wird in Washington gerätselt. Dass sich die Amerikaner von einem weißbärtigen Ayatollah Lektionen über den richtigen Weg zur Demokratie anhören müssen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie."