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am Strand

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Panaji

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"Golden Goa", einst das Herz des portugiesischen Kolonialimperiums, besuchte Robert Haidinger


Vasco da Gama bringt Tee, Schnaps und Kekse und warnt bei dieser Gelegenheit vor dem kreischenden Gesindel, das draußen die Luftwurzeln der Banyanbäume rauf- und runterturnt. "Die Äffchen müsst ihr im Auge behalten", sagt Vasco da Gama mit sonderbar stechendem Blick. "Und die Coconut-Cookies am Balkon auch."

Leichter gesagt als getan. Denn immerhin macht es die zauberhafte Panoramaoptik von Room No. 4 des "Terekhol Fort Hotel" schon ein wenig schwer, sich auf Tee und Kuchen zu konzentrieren - beflügelt die Szenerie hinter der rostigen Balkonbrüstung doch vor allem astreine Seeräuberfantasien. Krächzende Papageien reißen verwischte, türkisgrüne Löcher in den monsungrauen Himmel, und unterhalb der Steilküste hämmert das aufgeraute Meer wild gegen die Felsen, macht die salzigen Gischtfetzen am Fuße der verwitterten Bastion tanzen.

Wuamm! dröhnt es rhythmisch von den pechschwarzen Klippen herauf. Fast so dumpf, wie die Psychedelic-Bässe der goanischen Vollmondpartys gegen die Schädeldecken ihrer Fans branden. Doch die bunte Szene der Paradiesvögel hat hier, im äußersten Norden des indischen Bundesstaates, vorübergehend Sendepause.

Historische Originalkulisse in Terekhol

Wer nach Terekhol reist, um im kleinsten Fort Hotel des indischen Subkontinents abzusteigen, bewegt sich inmitten von historischer Originalkulisse - und kann sich hier besonders geruhsam auf die Fersen der portugiesischen Eroberer heften. Am besten, man verschanzt sich auf Neo-Conquistadoren-Art im Liegestuhl des besagten Balkons, schlürft dazu süßen Tee und Palmschnaps. Mit einem wach- samen Auge auf genäschige Äffchen selbstverständlich. Und mit dem anderen auf die stürmische Küste und die breite, zur Dämmerung silbrig glänzende Mündung des Terekhol Rivers.

Das Teleobjektiv ersetzt in solchen Momenten die alten Musketenläufe und wasserfeste Gummilatschen mittelalterliche Schnallenschuhe. Abschnallen kann man trotzdem. Etwa ob der Visitenkarte des momentanen Burgherrn, der das alte Portugiesenfort für zehn Jahre von der Provinzregierung gepachtet hat und beim Kassieren stets einen leicht inquisitorischen Glanz in den Augen bekommt. Vasco da Gama heißt der Mann, mit Vornamen Ruben. Und das ist die heilige Wahrheit. Auch wenn es irgendwie nach einem Witz klingt.

Wer vor Mister Ruben Vasco da Gama in der düsteren Burgrezeption die Reisetasche auf die antiquierte Teakholztruhe wuchtet, hat in der Regel bereits einige Goa-Lektionen hinter sich. Und vor allem zwei abenteuerliche Flussquerungen auf rostigen Eisenfähren, die neben Kühen und Schulklassen auch ganze Reisebusse über die grau-braunen Fluten schippern. Beim lauschigen Szeneörtchen Vagator, einem pittoresken Fischerdorf am Fuße der zerfallenden, weitläufigen Portugiesenfestung Chapora, gilt es zunächst den breiten Chapora River zu überqueren, und hinterher auch noch den Terekhol-Fluss.

Devise der späten Siebzigerjahre: "Go north, young Hippie"

"Go north, young Hippie", lautete die Devise bereits in den späten Siebzigerjahren, als Goas zentraler gelegene Strände wie Anjuna, Calangute und Baga zunehmend überlaufen wurden und die Kunst des "susegado", des süßen Nichtstuns, besser an weiter nördlich gelegenen Beaches geübt wurde. Einsame Strände wie Arambol Beach wurden damals zum letzten Außenposten der Hippie-Kolonialisierung Goas, und manche Exzesse schafften es bis in die westliche Regenbogenpresse. Doch die Tage der selbst gebastelten Beach-Palmhütten und der regelmäßigen Drogenrazzien gehören auch hier der Vergangenheit an.

Ihren besonderen Charme konnte sich die Gegend hingegen erhalten. Wasserbüffel und malerische Gärten prägen die noch sehr unberührte ländliche Szenerie des nördlichen Distrikts Pernem. In den verschlafenen Dörfern klicken die lokalen Fingerakrobaten des indischen Brettbillards Carrom ihre Spielsteine weiterhin relaxt Richtung Bande.

Arambol mit Chakren-Massage und Ganzkörper-Hennaverzierung

Wer für seinen Meditationskurs noch immer Anfänger-Ruhe braucht,liegt unter den Palmen von Arambol jedenfalls auch heute noch richtig. Und sehnt sich nach mehrtägigen Sonnenbädern plus gefühlvoller Chakren-Massage und Ganzkörper-Hennaverzierung vielleicht sogar ein wenig nach dem Rummel des goanischen Kernlandes weiter im Süden. Pastellfarbene Barockfassaden, Vollmondpartys und muschelübersäte Strände machen nämlich auch dort Lust auf einige Extratakte Goa-Sound & Co.

Eine halbe Stunde dauert es etwa vom Internationalen Airport Dabolim bis nach Panaji, der mediterran anmutenden Hauptstadt Goas. Mit dem Ort Vasco da Gama befindet sich in unmittelbarer Nähe der zweitwichtigste Hafen der indischen Westküste. Lange Eisenbahnzüge mit Eisenerz rattern aus dem Hinterland Richtung Docks, und auch die funkelnagelneue Konkan Railway, die Goa seit 1998 mit Bombay und Kerala verbindet, macht in Vasco Station.

Unterwegs gleißen Kanäle, vor allem aber die breite Mündung des Zuari, die sich beim Örtchen Cortalim zu einer weiten Wasserfläche öffnet. Ideal für die portugiesischen Seefahrer der vergangenen Kolonialära, ideal auch für Dutzende Lastkähne, die hier tief ins bergige goanische Hinterland hineingleiten können, um Cashewnüsse und Kopra abzutransportieren.

Panaji am Mandovi-Fluss

Auch Panaji, das administrative Herz der Exkolonie, liegt an einer der sieben großen Wasserstraßen Goas. Träge schiebt sich hier der Mandovi-Fluss an der kleinstädtischen Promenade vorbei. Träge schieben sich auch die Bewohner während der Siesta über Parkanlagen und Arkadengänge. Dass die Portugiesen erst 1961 von hier abzogen, erkennt man in Panaji auf Schritt und Tritt: Windschiefe Romeo-&-Julia-Balkone zieren die Villen, und die goanischen Julias tragen statt Saris geblümte Kleider im Fifties-Stil.

Nach 450 Jahren spiritueller Marketingarbeit ist heute ein gutes Viertel der Bevölkerung katholisch. Woran zehn Kilometer flussaufwärts des Mandovi auch die gewaltigen Kathedralen und Konvente Old Goas erinnern. Bereits 1510 eroberte Alfonso de Albuquerque das Land, und innerhalb von wenigen Jahrzehnten entwickelte sich Dourada - das legendäre "Goldene Goa" - zum Hauptsitz des portugiesischen Kolonialimperiums, das der Krone allein schon durch Hafenzölle enorme Gewinne einbrachte.

An die tausend Schiffe wurden noch im 16. Jahrhundert pro Jahr abgefertigt, ein schwungvoller Pferdehandel mit innerindischen Königreichen betrieben, Diamanten und Sklaven in alle Welt verschifft. Vor allem aber verdiente die Stadt an den ihr unterstellten Kolonien in Südostasien und Afrika. Heute erinnert nur mehr die maßlose Größe der Kirchen an Old Goas Glanzzeiten. Ebenso schnell wie der Aufstieg kam nämlich auch der Niedergang der "Goldenen Stadt". Nach Cholera- und Pestepidemien war die Bevölkerung Old Goas bis ins Jahre 1758 auf zweitausend Einwohner abgesunken.

Sonderbar leer wirkt das Viertel bis heute. Wie gestrandete Steinbarken ruhen nun die mächtigsten Kathedralen Goas auf den moosigen Flächen der verwaisten alten Hauptstadt. Schwarz angewittert sind die ursprünglich roten, porösen Steinblöcke. Hie und da huscht vielleicht eine Ordensschwester im grauen Kleid um die Ecke, mitunter auch ein Althippie im bewährten vollbärtigen Jesus-Look.

Wer Bein-, Herz- oder sonstige Schmerzen hat, wird bei den zahlreichen Reliquienverkäufern fündig. Sie haben jedes Körperteil in Wachs nachgebildet, zum heilenden Abbrennen im Schutze der Heiligen. Und natürlich auch zum Einpacken und Mitnehmen für den privaten Hausaltar, der in Goas imposanten Villen so selbstverständlich ist wie anderswo der Eiskasten. Kein Wunder, dass der gebürtige Goaner und international erfolgreiche Cartoonist Don Martin ("Spion gegen Spion") im kalifornischen Exil einen recht skurrilen Stil entwickelte. Fans des Westcoast-Cartoonisten werden im Stockwerk über dem St.-Francis-Xavier-Rummel fündig: Don Martins ausgeflippte Kreuzweg-Zeichnungen - ein Geschenk an seine Heimat - schicken Jesus recht spacig auf den letzten Trip.

Heiligenbildchen und Madonnenporträts zieren auch die Buge der archaisch anmutenden Fischerboote, mit denen vielköpfige Teams im butterweichen Licht der Dämmerung die langen, schmalen Netze einholen. In großen Körben wird der Tagesfang des artenreichen Arabischen Meeres zu den lokalen Fischmärkten abtransportiert.

Vom Szeneort Vagator zum Goa-Sound- und Partysanen-Mekka Anjuna

Doch das eigentliche Kapital sind heute die feinen Strände, die zwei Drittel von Goas 105 Kilometer langer Küste säumen. Südlich vom felsigen Szeneort Vagator schließt das Goa-Sound- und Partysanen-Mekka Anjuna an, mit seinen psychedelisch roten Klippen und Musikboxen, die an Palmkronen "wachsen". Kilometerlang ziehen sich diese Strände dahin: hellgelb, goldgelb, feinsandig - eine paradiesische Location für schmalzige Hollywood-Filmszenen und perfekte Sundowners.

Lokale Barmixer-Kreationen wie Feni Colada - Palmschnaps, weißer Rum, Ananassaft, Kokoswasser - können in solchen Momenten nicht schaden. Ebenso wenig wie ein bisschen beruhigendes Ölgeträufle aufs dritte Auge im nächstbesten Ayurveda-Shop. Denn ohnehin ist der ganze Goa-Zirkus mitunter turbulent genug, der bretterharte Sandstrand bei Colva Beach etwa bildet da keine Ausnahme.

Einsame Ecken und lebhaftes Beach-Business halten sich auch hier kongenial die Waage. Bunt ist die Komparserie allemal: Sweeta, das Tanzäffchen im pinkfarbenen Rüschenkleid, eine Schulklasse, die gerade Überlebensplanschen übt, und ein paar pickelige Marinesoldaten - all das gehört zum geblümten Lebensstil der 70er anno 2004 eben dazu.

Ebenso wie die hinduistische Gebets-Puja am Strand. Ungerührt vom Trubel der Freizeitfakire zeigt eine alte Inderin vor, wie es geht. Mitten im gleißenden Gold der letzten Sonnenstrahlen steht sie. Vergoldet sind Wasser und Sand, zaubern für einen Moment El Dourada an den Beach. Eine langsame Verbeugung zur Sonne, Wasser träufelt auf den Scheitel, kurzes Gemurmel. Der nächste Partytrubel kommt ohnehin früher, als man denkt. (Der Standard/rondo/16/1/2004)