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Gedemütigt im Staube, aber immerhin lebendig. Was ist für Saddam Hussein die "äußerste Strafe": leben oder sterben?

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Ginge es nach US-Präsident George Bush, wäre Saddam Hussein die Todesstrafe sicher. Die USA wollen sich jedoch im Irak der Siegerjustiz enthalten. Aber es sieht ohnehin so aus, als würden sich das lokale Rechtsverständnis und das der Besatzer treffen.

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Zitat aus einem amerikanischen Chatroom: "Ich würde sagen, er ist ein guter Kandidat für folgende Art von Folter: [gestrichen wegen Aufrufs zu Gewalt]. Ich bin sicher, davon ausgehend werden auch noch anderen Leuten lustige Dinge einfallen. Aber natürlich meine ich das in Wirklichkeit gar nicht so: In meinem Herzen weiß ich, die Rache gehört Gott."

Rache als der Beweggrund für Strafe, tatsächlich ist ja aus der Bestrafung Saddam Husseins, wie immer sie ausfallen wird, wenig Utilitaristisches herauszuholen, höchstens - zweifelhaft - der Abschreckungseffekt für andere potenzielle Gewaltherrscher (für die bereits aktiven ist es ja zu spät), die von ihren bösen Taten abgehalten werden sollen: Auch uns kann eines Tages die irdische Gerechtigkeit blühen. Wobei manche Ansätze im US-Rechtssystem - und im islamischen sowieso - die irdische Gerechtigkeit nur verwirklicht sehen, wenn die göttliche Gerechtigkeit wieder hergestellt ist: Wer Leben nimmt, dem wird das Leben genommen. Im Falle des Massenmörders Saddam hieße das also etliche Hunderttausende Todesurteile.

Wenn man über die möglichen Implikationen dessen nachzudenken beginnt, was mit Saddam Hussein geschehen oder nicht geschehen wird, könnte man sich tatsächlich wünschen, er hätte rechtzeitig seine Pistole gefunden beziehungsweise den Mut, sie abzudrücken. Die Mussolini-Lösung - spontan gekillt - oder die Ceau¸sescu-Lösung - erschossen nach einer Prozess-Farce - kommt heute weniger gut: Das Vakuum, das ein gestürzter Machthaber hinterlässt, soll ja durch Rechtsstaatlichkeit gefüllt werden, im Fall des Irak war das sogar einer der von den USA deklarierten Kriegsgründe. Ganz korrekt in diesem Sinne wurde Saddam Hussein - als Oberbefehlshaber der irakischen Armee - von den USA soeben der Status eines Kriegsgefangenen verliehen: Das heißt etwa, dass ihm bei Nichtkooperation keine Strafe angedroht oder umgekehrt keine Hafterleichterung bei Kooperation in Aussicht gestellt werden darf.

Das ist die eine Seite, die andere, dass nach Saddams Verhaftung in den USA offen darüber diskutiert wurde, ob bei den Verhören Folter angewendet werden dürfe: Zur Schaffung einer "Atmosphäre, die zu wahrheitsgemäßen Aussagen ermutigt", riet der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses zu Schlafentzug und anderen psychischen Druckmitteln, eine harmlose Sache im Vergleich mit den "Nadeln unter den Fingernägeln", die der frühere US-Bildungsminister Bill Bennett Saddam zudachte. Auch ihm ging es nach eigener Aussage - anders als im eingangs angeführten Chatroom-Zitat - angeblich nur um die Informationen, die dem irakischen Exdiktator entrissen werden sollen.

Tatsächlich dürfte Saddam Hussein, was seine eigene Person betrifft, eher zart besaitet sein. Die Bilder davon, wie er nach seiner Festnahme einem US-Arzt willig Kopf und Mundhöhle zur Untersuchung hinhielt, erklären sich im Nachhinein durch die Bilder von seiner Verhaftung (siehe Bild). Da hatte er sich wohl wehgetan. (Gerade dieser bösartige Satz zeigt, wie selbst im Versuch einer kühlen Analyse der Wunsch durchbricht, dass jemandem, der so viel Schmerz verursacht hat, selbst Schmerz zugefügt wird.) Saddams "Strafen" - dieser Begriff ist hier nur unter Anführungszeichen zu verwenden, auch wenn sie zum Teil in ein (perverses) irakisches Rechtssystem eingebettet waren - für seine eigenen Subjekte waren hingegen von einer unbeschreiblichen Grausamkeit, wobei der Sadismus durchaus mit der politischen Absicht der Abschreckung gepaart war. Abgesehen von den Myriaden Toten: Abgeschnittene Zungen, wenn jemand über das Regime schlecht sprach, abgeschnittene Ohren und Brandmale auf der Stirn für Desertion oder Devisenvergehen oder was auch immer, die überlebenden Opfer trugen den Schrecken sichtbar mit sich herum.

Nie stimmt man US-Präsident George Bush mehr zu, als wenn dieser vom "widerwärtigen Folterer und Mörder" Saddam Hussein spricht. Die "äußerste Strafe" hätte dieser verdient, sagte Bush, der in seiner Zeit als Gouverneur von Texas 152 Menschen hinrichten ließ - also über das Saddam-Urteil nicht zweimal nachdenken musste. Dem Vorwurf der Siegerjustiz wollen sich die USA diesmal aber nicht aussetzen, die Iraker sollen ihren Expräsidenten selbst aburteilen. An einem etwaigen Ad-hoc-UNO-Kriegsverbrechergerichtshof für den Irak - nach dem Muster jener, die für Ruanda und Exjugoslawien eingerichtet wurden - würde keine Todesstrafe verhängt, was Bushs Aversion dagegen in diesem Fall verstärkt haben mag. Auf britischen Druck gibt es auch kein Todesurteil im (einstweiligen) neuen irakischen Strafrecht, dessen Einführung nach dem Krieg angesichts des Hochschnellens der Kriminalität eine dringende Notwendigkeit war, es gilt aber erst für Verbrechen, die ab Mitte Mai 2004 verübt wurden und werden. Der - von den USA handverlesene - irakische Regierungsrat hat übrigens die US-Entscheidung kritisiert, Saddam den Kriegsgefangenenstatus zuzuerkennen, man neigt zu härteren Bandagen. Eine offene Frage ist, wie stabil der Irak und damit auch sein Rechtssystem sein wird, in dem prozessiert werden wird. Über dreißig Jahre Gewaltherrschaft haben das Land jeglicher personeller juristischer Infrastruktur beraubt, es gibt niemanden im System, der sich ihm entziehen konnte. Man fragt sich deshalb heute, wer denn die Leute sein werden, die über Saddam zu Gericht sitzen sollen: entweder unbelastet und mit wenig Erfahrung, oder erfahren und mit zweifelhaften Hintergrund, oder erfahren, unbelastet, aber importiert.

Als einer der Gründe dafür, dass es ein irakischer und kein UNO-Gerichtshof sein soll, vor den Saddam gestellt werden wird, wird oft angegeben, dass dieser Prozess - und andere gegen weitere Regimemitglieder - den Irakern helfen soll, die Verantwortung für ihre eigene Geschichte wieder zu übernehmen. Dafür scheint es aber ganz einfach noch zu früh zu sein. Die irakische Gesellschaft kann sich - sonst würde sie zusammenbrechen - noch nicht aller Mitläufer und Profiteure des verbrecherischen Regimes entledigen. Ob es für ihre Selbstreinigung reicht, wenn sie die Spitzen aburteilt, aber gerade deshalb wahrscheinlich die Verantwortung auf unteren Ebenen nicht einmal anspricht, ist fraglich.

In den Nachkriegswirren haben manche Saddam-Opfer das Problem für sich selbst gelöst: Etliche Baath-Schergen wurden umgebracht. Für viele Iraker wäre es ein Hohn, wenn Saddam mit weniger davonkommt. Eine große zivilisatorische Geste - der neue Irak soll nicht auf Blut und Rache aufgebaut sein - würde an ihnen völlig vorbeigehen. Gott ist barmherzig, aber eben erst nach Wiederherstellung der Gerechtigkeit.

Für seine Anhänger hingegen dürfte gelten: Ein Saddam, der bis zum Lebensende seine Zelle selbst putzt, eignet sich weniger zur Mythenbildung. Andererseits, erst mit ihm selbst stirbt die letzte Hoffnung und die letzte Angst. Und zuletzt: Was für Saddam selbst die größere Strafe wäre, Tod oder Haft, hätte man bis Mitte Dezember leichthin beantwortet: auf alle Fälle das demütigende Überlegen. Seine widerstandslose Festnahme belehrte eines Besseren: Er fürchtet den Tod. Aber was auch immer mit ihm passiert, eine Strafe im Wortsinn von Sühne ist nur das, was als solche verstanden wird. Davor ist Saddam Hussein gefeit: Wann und wie er auch immer sterben wird, eine Einsicht über seine Verbrechen darf man von ihm nicht erwarten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18.1.2004)