Kochen ist eine Wissenschaft. So manchem mag es angesichts steinharter Kuchen und zerfließenden Mousse au Chocolat schon gedämmert sein, seit kurzem ist es wirklich untermauert. Der Onlinedienst wissenschaft.de verkündete "Revolution in der Küche". Im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes zu kochphysikalischen Fragen entwickelten Ingenieure neue Rezepte. Geschmack werde auch über die Konsistenz der Zutaten festgelegt, war da aus dem Technologie-Transfer-Zentrum in Bremerhaven in Deutschland zu hören. Und neue Geschmackserlebnisse entstünden "alleine durch die Art der Mischung". Druck und Temperatur bei der Zubereitung seien ausschlaggebend, ob sich zum Beispiel Eis im Mund kalt oder warm anfühle. Da sich diese Parameter nur mit in der Industrie eingesetzten Geräten exakt regeln ließen, um eben warmes Eis herzustellen, ist dieses neue "Geschmackserlebnis" am häuslichen Herd wegen der unpräzisen Regelungsmöglichkeiten nicht nachzuvollziehen. Starköche in Frankreich, Deutschland und Spanien würden die Idee begeistert aufgreifen, hieß es mittlerweile. Jedenfalls seien die Erkenntnisse über Temperatur und Konsistenz geeignet, um die technische Entwicklung bei Haushaltsgeräten voranzutreiben.

An der Loughborough-Universität in Leicester wiederum wurde das Rätsel von zerbröselnden Keksen gelöst. Schuld an allem sollen die Feuchtigkeitsunterschiede innerhalb desselben sein, die aber bei exakter Kontrolle von Temperatur und Feuchtigkeit beim Abkühlen kontrolliert werden können.

Nicht immer erschließen sich Sinn und Zweck von derartigen Forschungen auf den ersten Blick. Im Prinzip sind humoristische Meldungen ja geeignet, die öffentliche Aufmerksamkeit auf komplexe Themen zu lenken. Als Wissenschafter sieht Georg Haberhauer sogar eine Verpflichtung, "wissenschaftliche Arbeiten der breiten Bevölkerung in einer verständlichen Sprache zugänglich" zu machen. Er ist Leiter des Bereichs "Biogenetics and Natural Ressources" in Seibersdorf, wo über Echtheit bzw. Sicherheit von Lebensmittel geforscht und Entwicklungsarbeit im Bereich Functional Food geleistet wird. Die Forscher testen, wie man vorteilhafte Inhaltsstoffe wie Vitamine oder Antioxidantien (Pflanzeninhaltsstoffe, die Sauerstoffradikale abwehren) in einem Lebensmittel durch Stressprozesse, nicht durch gentechnische Veränderungen anreichern könnte. Welche Inhalte man auch verfolge: Die Seriosität der Forschungsthemen, so Haberhauer zum STANDARD, müsse in jedem Fall gewahrt bleiben, der wissenschaftliche Nutzen langfristig abgesichert sein. Ansonsten habe man am Markt sowieso keine Chance. Sehr real erscheinen in diesem Zusammenhang die Einsatzmöglichkeiten für eine in Tirol entwickelte elektronische Zunge. Sie wird derzeit bei Atem- und Raumluftanalysen im medizinischen Bereich und in der Nahrungsmittelindustrie getestet, um als "Feinschmecker" im wörtlichen Sinn bestimmte, in geringen Mengen existierende Stoffe aufzuspüren.

Forschungsarbeiten an Lebensmitteln dienen auch immer wieder als Simulationsmodelle für Probleme außerhalb des technisch-wissenschaftlichen Bereiches. Mithilfe der Mathematik entwickelte eine Gruppe von Politikwissenschaftern der Universität New York eine Methode, einen Kuchen unter Berücksichtigung der Präferenzen von maximal drei Beteiligten gerecht zu teilen. Ergebnis und Einsichten sind zum Beispiel auf die gerechte Teilung von Grundstücken anwendbar, wie der Onlinedienst des renommierten Magazins Nature kürzlich berichtete. (Luzia Schrampf/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 1. 2004)