Frankfurt/Zürich/Berlin/Rom - Die Versuche der USA, mit Hilfe der Vereinten Nationen aus dem Irak-Nachrkriegsdilemma herauszukommen, werden am Montag in zahlreichen europäischen Zeitungen kommentiert:

"Frankfurter Rundschau":

"Der Job des Paul Bremer ist derzeit der vielleicht undankbarste in der internationalen Politik. Zumal Amerikas Vizekönig in Bagdad nicht nur die Bürde des ungeliebten Besatzers tragen muss, sondern allenthalben auch die Reißleine aus Washington im Rücken spürt. George W. Bush will den Irak bis Ende Juni in die formelle Unabhängigkeit entlassen. Dies gebietet der US-Wahlkalender. Am Zeitplan darf also nicht gerüttelt werden. Doch in Washington wächst die Sorge, dass sich bis dahin ein belastbares Fundament für die Post-Besatzungszeit nicht legen lässt. Aus gutem Grund. Eine von Washington installierte Übergangsordnung ohne die Legitimation freier Wahlen will der schiitische Klerus nicht akzeptieren. Im Verfassungsstreit legen sich die Kurden ebenso quer wie die Ayatollahs. (...) Washington hat die Widerstände lange unterschätzt. Bremer sollte nicht nur zwischen den gesellschaftlichen Kräften im Irak moderieren, er sollte vor allem auch die US-Interessen für die Zeit nach der Besatzung absichern. Bremer braucht Hilfe, und die sucht er bei den Vereinten Nationen."

"Der Tagesspiegel":

"Der verheerende Anschlag in Bagdad - er hat Auswirkungen weit über den Irak hinaus. Gerade heute trifft sich Zivilverwalter Bremer mit Kofi Annan, und der Amerikaner will den UN-Generalsekretär davon überzeugen, dass sich die Vereinten Nationen am 'Auswahlverfahren' für eine irakische Übergangsregierung beteiligen. (...) Annan befindet sich nun in einer schwierigen Lage. Einerseits möchte er, dass seine Organisation den neuen Irak aktiv mitgestaltet. Andererseits ist bei den (UNO-)Angestellten nicht vergessen, dass im August bei einem Attentat auf die UN-Mission in Bagdad 23 Menschen ums Leben kamen. (...) Für die Besatzungsmächte stellt sich die Frage, ob eine neue Welle von Attentaten bevorsteht. Wächst der Widerstand, wird die Suche nach politischen Kompromissen noch komplizierter werden."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Der Zeitablauf ist in Schwierigkeiten geraten, seit der führende Geistliche der schiitischen Mehrheit, Großayatollah Sistani, verlangt hat, dass die Abgeordneten des Übergangsparlaments durch allgemeine Wahlen ermittelt werden sollten und nicht durch Wahl-ähnliche Veranstaltungen auf Ebene der Provinzen (...) Um der Forderung Druck zu verleihen, haben die Anhänger Sistanis in der vergangenen Woche große Demonstrationen organisiert (...) Trotz aller Bereitschaft der Vereinten Nationen, bei der Lösung der Probleme im Irak mitzuwirken, besteht bei der UNO aber auch ein erhebliches Maß an Misstrauen gegenüber den amerikanischen Motiven für die neuerliche Annäherung."

"Il Messaggero":

"Es wurde, vor allem von den Amerikanern, kurz vor und kurz nach der Festnahme von Saddam Hussein stets behauptet, dass diese 'terroristischen Attentate' (aber heute nennen das nur noch die Amerikaner so, alle anderen sprechen von Guerillakrieg) den ehemaligen Gefolgsleuten des Rais (Saddam) zuzuschreiben seien oder Al-Kaida-Mitgliedern im Irak oder Ausländern aus diversen Ländern. Aber heute wird immer klarer, das es ganz anders ist als in diesen Annahmen. Und um das ganze Spiel (wenn dieser Ausdruck bei einer Tragödie wie im Irak angemessen ist) zu verändern, sind jetzt endgültig und mit schweren Folgen die Schiiten auf den Plan getreten, die 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Ihre Besorgnis und ihre Furcht, dass der Irak nun wirklich an Nicht-Iraker zum Verkauf steht, oder, schlimmer noch, dass das Land tatsächlich konkrete Gefahr läuft, zu einem westlichen, sprich amerikanischen, Protektorat zu werden, macht die Schiiten zu einer immer entschlosseneren und immer stärkeren Opposition."(APA/dpa)