"Port" von Simon Stephens thematisiert Verzweiflung und die Hoffnung auf einen Ausbruch aus sozialer Enge.

Foto: Schauspielhaus/Peter Manninger
Graz - Die Mutter schlägt und umarmt abwechselnd ihre Kinder und "verpisst sich" schließlich aus deren Leben; der Vater trinkt, der kleine Bruder wird zum talentierten Kriminellen - und mittendrin versucht ein Mädchen in einer tristen Industriestadt erwachsen zu werden. Sozialdramen aus dem englischen Arbeitermilieu sind als Filme und Stücke bekannt.

Der 32-jährige, als Shootingstar gehandelte Dramatiker Simon Stephens sorgt dafür, dass diese Geschichten nicht ausgehen. Sein 2002 uraufgeführtes Stück Port, das am Samstag im Grazer Schauspielhaus seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte, hält aber Überraschendes zwischen den Flüchen und der Verzweiflung der Protagonisten bereit: die Hoffnung auf einen Ausbruch aus sozialer und emotionaler Armut.

Port basiert auf den Erinnerungen des Autors an sein eigenes Heranwachsen in der nahe Manchester gelegenen Stadt Stockport und den Interviews, die Stephens mit heute dort lebenden führte. So entstand die Geschichte von Racheal Keats, die Julia Kreusch spielt, ohne während des gesamten Stücks die Bühne zu verlassen. Vor Publikum mutiert sie von der elfjährigen zur jungen Frau und beeindruckt schauspielerisch. Racheal sorgt sich um den kleinen Bruder, den Martin Brettschneider als liebenswerten, verhaltensauffälligen Kerl anlegt, sie schluckt die Tränen über den Tod ihres Großvaters, und sie erträgt später die Gewalt des Gatten. Dabei "altert" sie durch allmähliche Veränderungen in Gestik und Stimme.


Klarheit und Tiefe

Das Stück ist klar und linear konstruiert und durchschifft doch einige Tiefen und Wahrheiten, bevor es in seinen "Hafen" einläuft. Stephens greift einzelne richtungsweisende Begebenheiten heraus und reiht sie aneinander - Ort und Zeit werden als Leuchttafeln in Susanne Maier-Staufens Bühne "eingeblendet". In diesen von Schauspielhaus-Direktor Matthias Fontheim behutsam und zurückhaltend inszenierten Momentaufnahmen gelingt es auch Daniel Doujenis, der Racheals Vater und Racheals Ehemann spielt, und Friederike Bellstedt als Mutter und bösartige Oma ihren Figuren Seelen zu geben. Sebastian Reiß berührt als Racheals Jugendliebe, zu der sie vergeblich einen Rückkehrversuch unternimmt.

Problematisch ist nur die zuweilen haarsträubende Übersetzung des Rowohlt-Verlags in einen real nicht existierenden Bühnen-Soziolekt. So gesehen ein Segen, dass der zur Premiere angereiste und sehr begeisterte Autor kein Deutsch verstand. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2004)