Tel Aviv - Noch Wochen oder gar Monate könnte sich die Spekulationsmühle drehen und damit jener Zustand fortdauern, in dem, in den Worten eines israelischen Oppositionspolitikers, "jeder Bürger sich Sorgen machen muss, wie denn der Ministerpräsident unter dem Druck von Verhören und Anklageschriften funktionieren kann". So lange nämlich wird die Staatsanwaltschaft vermutlich noch überlegen, ob auch gegen Ariel Sharon Anklage erhoben wird, nachdem der Geschäftsmann David Appel am Mittwoch formell beschuldigt wurde, den Premier bestochen zu haben.

Sharon erklärte unterdessen dezidiert, dass er nicht zurücktreten werde. "Was sind das für Dummheiten?", lautete der Kommentar des 75-Jährigen zur Debatte, ob er als Zentralfigur einer Bestechungsaffäre nicht jetzt schon die Konsequenzen ziehen müsste. Er werde die israelische Regierung mindestens bis zum Ende seiner regulären Amtszeit 2007 führen, sagte Sharon am Donnerstagabend in einer im Rundfunk übertragenen Rede vor Anhängern seiner rechtsgerichteten Likud-Partei in Tel Aviv.

Die Entscheidung ist für die Staatsanwälte deswegen so qualvoll, weil in den vergangenen Jahren mehrere israelische Politiker wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht gestellt, aber letztlich freigesprochen wurden. Es wäre eine die Staatsverfassung erschütternde Blamage, wenn das Verfahren gegen Sharon einen ähnlichen Lauf nähme. Denn die Anklageerhebung würde zum sofortigen Sturz des Premiers führen, was nach einem eventuellen Freispruch Jahre später nicht mehr zu reparieren wäre.

Oppositionschef Shimon Peres vermied es denn auch, Sharon zum sofortigen Rücktritt aufzufordern, und verlangte vom beharrlich schweigenden Premier bloß, "dem Volk seine Version mitzuteilen - das ist keine rechtliche, sondern eine dringende politische Angelegenheit". Hoher Favorit für die Nachfolge Sharons ist Finanzminister und Expremier Benjamin Netanyahu (54), der auf seine Stunde zu warten scheint und sich zuletzt aus allen Debatten heraushielt. (Ben Segenreich/DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2004/APA/red)