Serapions-Prinzipal und Bilderfinder Erwin Piplits blickt der angekündigten und abgesegneten Wiener Theaterreform mit gemischten Gefühlen entgegen.

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Erwin Piplits, Prinzipal des Wiener Serapionstheaters, bringt demnächst wieder eine Premiere heraus – und denkt darüber nach, was im Odeon werden soll: Die Erde des so beschaulichen Wiener Theaterbodens bebt.


Wien – Im Gebäude des Odeon, der Getreidebörse in der Taborstraße, durcheilt man lange Korridore, ehe man Erwin Piplits' Studierstube betritt. Die Wände und das Mobiliar atmen die strenge Luft der Askese. Hätte man nicht immer schon gewusst, dass die Zugehörigkeit zum Wiener Serapionstheater Entbehrung und Erhebung meint, eine Verabredung, sich von der prosaischen Welt da draußen nicht ins Bockshorn jagen zu lassen – spätestens im Hinterstübchen würde man sich der Widersetzlichkeit von Piplits' Arbeit bewusst.

Der Prinzipal quittiert Fragen nach den Zukunftsaussichten der Serapionsbrüder mit überlegenem Lächeln. Gewiss, da steht nächstens eine Premiere auf dem Programm: Serapion mon amour, ab 15. Februar im Odeon. Piplits hat gewusst, dass die Frage nach den schönen Zukunftsaussichten kommt. Seit sich die Wiener Kulturpolitik im Grundsatz zur Durchführung des von drei Kuratoren erarbeiteten Theaterreformkonzepts bekannt hat, hängt über den Mittelbühnen ein spätherbstlicher Nebelschleier.

Nimmt man die Prämissen des Papiers ernst, könnte im Jahr 2005 für einige situierte Theatermacher das große Abschiednehmen beginnen – jedenfalls als Hauptmieter mit kontinuierlichem Produktionsausstoß, die in der eigenen Theatermanufaktur mehr oder minder unbeschadet vor sich hinarbeiten. Aber was heißt schon "unbeschadet" in Umbruchszeiten? Piplits: "Begriffe wie ,Mittelbühne‘ sind doch rein pragmatischer Natur. Grundsätzlich ist es richtig, die Praxis der Subventionsvergabe von Zeit zu Zeit zu überdenken. Die Initiative des Herrn Kulturstadtrats kann man also nur begrüßen."

Aber: "Die Praxis dieses Vorgangs stimmt viele Leute, darunter auch mich, skeptisch. Man kann den Tag nicht nur nicht vor dem Abend loben, sondern ihn auch nicht vor dem Abend kritisieren. Welches Ergebnis soll denn herauskommen?"

Was ist und was wird

Eine Aufweichung der gleichsam einzementierten Trennung in "Freie", die über keinen festen Spielort verfügen, und solche, die wie das Serapionstheater ein schmuckes Eigenheim bewohnen. Als ausgewiesenes Ziel gilt die Einrichtung so genannter Koproduktionshäuser. Die wird man nicht bloß aus der Erde stampfen können... Piplits kontert: "Darum reißt man sich diejenigen unter den Nagel, die andere gebaut haben."

Piplits verweist auf die "Eigeninitiative", die er und seine Getreuen bei der Akquirierung des Odeon 1989 an den Tag gelegt hätten. Er und sein Team seien "vor allem nicht müde": "Müde sind wir der Vorgänge, die sich rund um uns abspielen."

Es werde offensichtlich "auf das Odeon spekuliert". Piplits, weiter ausholend: "Das Odeon ist von uns zu 75 Prozent aus selbst erwirtschafteten Mitteln errichtet worden. Reden wir abstrakt. Zahlen werden ohnedies immer falsch wiedergegeben." (Anmerkung: Von der Gemeinde wird das Odeon im Jahr mit knapp 700.000 Euro subventioniert.) "Der Umbau des Schauspielhauses im Vergleichszeitraum hat mehr gekostet."

Piplits meint, dass ihm die Kosten "gesellschaftlich verursacht" würden. Wenn er etwa bei Mitarbeitern Anstellungen vornehmen muss, wo ein Werkvertrag ausreichend wäre. Ihr Einsiedlertum hätten die Serapionten aufgegeben. Eine Crew wurde aufgebaut, um "Gäste zu betreuen". Seit sechs Jahren sei das Haus ausfinanziert. 19 Eigenproduktionen stehen 175 Gastspiele gegenüber. Piplits nennt das "Stopfen von Budgetlöchern durch Vermietung an andere Kunstschaffende".

Wie nun aber weiter? Piplits beklagt, dass man Kulturpolitiker früher bei Lust und Gelegenheit in der Straßenbahn anreden konnte. Heute bekäme man "Kuratoren" als Ansprechpartner vor die Nase gesetzt. Die personale Begegnung mit der Obrigkeit entfällt. Aber was heißt schon Obrigkeit in theaterdemokratischen Umbruchszeiten?

Piplits: "Einige Kollegen waren von dem Ton, in dem von Kuratorenseite mit ihnen geredet wurde, schockiert." Wie war er, der Ton? Barsch? Irgendwann fällt das Wort "Präpotenz". Eine subjektive Kategorie. Piplits: "Ich brauche keinen Kurator als Vormund. Ich bin schon mündig."

Piplits wird das Odeon nicht preisgeben. Er wird sich, in konsequenter Fortsetzung seines Bildertheaterstils, dem Einsiedler Serapion widmen: "Erst wer in die Einsamkeit hinaustritt, kann Kunst schaffen." Ab Herbst will er das Haus sperrangelweit für Arbeiten von Migranten öffnen. Die Serapions-Geschichte ist nicht abgeschlossen. Einen guten Rat gibt es gleich mit auf den Heimweg: "Sie schreiben als Kritiker bei den Premieren mit? Da können Sie doch gar nichts aufnehmen. Sie müssen unsere Arbeiten außerdem mehrmals erleben!"

Aber was heißt schon mehrmals – in theaterpolitischen Umbruchszeiten? (DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.1.2004)