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Graphik: Der Standard
STANDARD: Herr Präsident, gleich wie das jetzige Kräftemessen zwischen Wächterrat und Reformabgeordneten ausgeht, es wird damit gerechnet, dass bei den Parlamentswahlen im Februar ein Rechtsrutsch erfolgt. Können Sie als Präsident mit einem konservativen Parlament leben?

Khatami: Was für mich wichtig ist, sind freie Wahlen und ein freier Wettbewerb, und ich werde alles daransetzen, um das zu erreichen. Ich glaube auch, dass ich in dieser Beziehung einer Meinung mit dem Revolutionsführer bin. Es ist nicht wichtig, aus welchen Gruppierungen das Parlament danach besteht, wichtig ist, dass die Menschen nach freiem Willen wählen und ihre Stimmen frei vergeben können. Welches Ergebnis auch immer dann kommt: Es ist eine Bedingung der Demokratie, dass wir das akzeptieren. Ich habe aber keine Sorge, dass sich, wenn die Wahlen frei sind und wenn eine Mehrheit der Wähler daran teilnimmt, unsere Sympathisanten und unsere Ideen durchsetzen werden.

Bei uns gibt es Empfindlichkeiten wie anderswo, vielleicht in anderen Formen, vor den Wahlen werden sie eben stärker. Ich meine, dass wir mit Bedacht und unseren eigenen Methoden die Probleme lösen werden.

STANDARD: Ihre Prognose für die nächsten Tage?

Khatami: Ich hoffe auf eine Lösung bis zum Freitag.

STANDARD: Wie hoch sollte die Beteiligung für demokratisch legitimierte Wahlen sein?

Khatami: Wir können niemanden zwingen, daran teilzunehmen. Eine freie Kandi^datur und hohe Teilnahme wären aber wichtig. Wenn sich die jetzige Situation löst, könnten es ungefähr 60 Prozent sein, das sind die Schätzungen.

STANDARD: Sie sprechen viel vom Dialog der Kulturen - wie steht es mit dem inneriranischen Dialog?

Khatami: Ein interner Dialog ist genauso schwer wie auf internationaler Ebene - und noch viel schwieriger in unseren Ländern, die keine demokratische Tradition haben, die nie gelernt haben, einen Dialog zu führen. Wir sind eine Gesellschaft, die Jahrhunderte lang unter Unterdrückung gelitten hat. Zum Dialog muss man erzogen werden, und das ist in diktatorischen Systemen nicht möglich. Aber je mehr Fortschritte wir auf demokratischem Gebiet machen, je mehr Institutionen und Organisationen - wie im Westen die Parteien - zustande kommen, die einander tolerieren, desto besser wird es werden. Dialog muss man lernen, wie man Deutsch lernt.

Eine Diktatur wendet sich immer gegen Andersdenkende: Hier im Iran ist es aber gerade die Regierung, die das freie Denken verteidigt. Wir setzen uns selbst dafür ein, dass man uns kritisieren darf, wir haben Streit mit denjenigen, die die Freiheit einschränken wollen. Sie werden hier keinen einzigen Fall finden, in dem jemand den Präsidenten kritisiert oder sogar beschimpft hat und dafür bestraft wurde.

STANDARD: In Davos haben Sie gesagt, auf interkultureller Ebene sei ein Dialog der Gelehrten notwendig, bevor es zum politischen Dialog kommen kann. Wo sehen Sie sich da selbst?

Khatami: Meine Aufgabe ist, über die Fragen, die an mich gestellt werden, nachzudenken und darauf eine Antwort zu finden. Ja, mir ist die Welt der Gelehrten lieber als die der Politiker. Ich habe aber die Vision, mehr Denken und Vernunft in die Politik zu bringen.

Wir haben ein schlimmes 20. Jahrhundert hinter uns gelassen, mit zwei Weltkriegen, Unterdrückung, Besatzung, Armut, Diskriminierung, Not, die harte Auseinandersetzung zur Abschaffung des Kolonialismus. Terrorismus hat es immer gegeben, aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich das Phänomen ausgeweitet. Ich habe über die Ursachen nachgedacht: Paradigmatisch ist in unserer Welt, dass man andere nicht akzeptiert, sondern anderen den Willen aufzwingen will. Dem Paradigma der Gewalt und Gewaltausübung stelle ich ein anderes gegenüber: Dialog.

Wir haben unter dem Kolonialismus als Ausdruck des Westens gelitten, müssen aber zugeben, dass der Westen eine große Zivilisation ist und die Menschheit vieles gelehrt hat. Auseinandersetzungen zwischen Kulturen dürfen nicht verhindern, dass man gute Seiten aufgreift. Auch der Westen kann von den östlichen Kulturen - der islamischen, der chinesischen, der indischen - etwas lernen.

Aber ich bin sicher, dass dieser Dialog auch den politischen beeinflussen kann, den es im Moment jedoch nicht gibt - im Moment will derjenige, der mehr Macht hat, seine Meinung diktieren. Das ist Monolog, nicht Dialog. Leider haben im Jahr 2001 die Leute, die Sympathie für Gewalt haben, die Oberhand gewonnen: durch Terrorismus und Militarismus.

STANDARD: Was schätzen Sie am Westen am meisten?

Khatami: Im Westen wird die Demokratie ernsthaft praktiziert. Macht ist etwas Menschliches und sollte in der Hand der Menschen sein, das heißt, die Menschen selbst sollen die Kontrolle ausüben. Eine Bevölkerung soll sicher sein, dass sie eine Regierung austauschen kann, wenn sie sie nicht mehr haben will. Was als Menschenrechte vom Westen kommt, ist wichtig - man kann über Definitionen seine Meinungsverschiedenheiten haben, aber dass alle Menschen frei und gleichberechtigt sind, da sind wir einer Meinung. Das hat Wurzeln auch in unserer Kultur.

Ein Schwachpunkt im Westen ist, dass sich Freiheit und politische Macht von anderen menschlichen Werten getrennt haben. Aber ich verstehe auch die westliche Angst davor, dass sich das Religiöse zu sehr ins tägliche Leben einmischt. Der Westen hat da seine mittelalterliche Erfahrung noch im Kopf: Religion gegen Freiheit und Denken, deshalb gibt es die Angst, dass die Religion zurückkommt und die Freiheit einschränkt, und deshalb wird die Religion an die Seite gedrängt.

Aber man vergisst, dass ohne Religion ein sehr materialistisches und trockenes Leben übrig bleibt. Wenn wir es schaffen könnten, dass sich moralische und geistliche Werte und Freiheit nahe kommen, wird die Freiheit schöner sein - und umgekehrt: Wenn Freiheit in der Religion wirkt, wird sich die Religion von ihrer reaktionären Seite befreien und sich modernisieren. Ich weiß nicht, wie idealistisch, unrealistisch das ist, aber man muss es probieren.

STANDARD: Wie tolerant kann Religion sein?

Khatami: Toleranz ist immer positiv, wenn sie nicht wertfrei ist, Toleranz ist die Basis des Liberalismus. Genauso wie ich mir wünsche, dass andere meine Werte akzeptieren, so respektiere ich ihre.

Ich, als Geistlicher, sage Ihnen hier, wir haben in unseren theologischen Grundsätzen nichts, was nicht muslimische Frauen zwingen könnte, ein Kopftuch zu tragen. Das dürfen wir nicht. Was Sie hier sehen, das ist eine gesellschaftliche Tradition im Iran, das hat mit dem Islam nichts zu tun. Und wir dürfen Menschen überhaupt nicht zwingen, ihr privates Leben auf eine bestimmte Art und Weise zu leben. Aber ich bin sicher, dass die Zeit viele von diesen Problemen lösen wird.(Der Standard, Printausgabe 27.1.2004)