Das Wettbewerbsrecht ist ein entscheidendes wirtschaftspolitisches Instrument zum Schutz des freien Marktes vor Machtmissbrauch, Absprachen oder marktverzerrenden Fusionen. Allerdings kommen in vielen Wettbewerbsverfahren, wie an diversen Prozessen gegen Microsoft zu sehen war, Urteile oft zu spät. In Österreich erwiesen sich auch Regierung und Sozialpartner als Wettbewerbshüter wenig tauglich. Vielmehr sind es die oft kleinen Kläger, die den Wettbewerb durch erfolgreiche Klagen wiederherstellen.

Damit sich die Davids gegen die Goliaths durchsetzen können, müssen ihnen die befassten Kartellgerichte - das Oberlandesgericht Wien und der Oberste Gerichtshof - ein gewisses Maß an Waffengleichheit bieten. Diese benötigt einen effizienten einstweiligen Rechtsschutz, durch den potenziell wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen vorläufig suspendiert werden.

Einstweiligen Rechtsschutz

Einstweiligen Rechtsschutz gibt es überall, wo bei Abwarten eines Urteils die Hereinbringung eines berechtigten Anspruches ernsthaft gefährdet wäre - etwa weil mehr als finanzielle Schäden drohen, drohende Schäden nicht abschätzbar sind oder ein Unternehmen in seinem Fortbestand bedroht ist. In Verfahren wegen Verletzungen von Immaterialgüterrechten (z. B. Marken oder Urheberrechten) oder wegen unlauteren Wettbewerbs wird das regelmäßig vermutet, sodass eine einstweilige Verfügung erreicht werden kann, ohne dass die drohende Gefahr eindeutig nachgewiesen werden muss oder der Gegner überhaupt angehört werden muss. Gleiches gilt in Kartellrechtssachen.

Der Preis dafür ist allerdings, dass dem Gegner für alle Schäden aus einer einstweiligen Verfügung gehaftet wird, wenn sich im Hauptverfahren die Ansprüche als unberechtigt erweisen - und zwar auch ohne Verschulden des Klägers (§ 394 Exekutionsordnung, "EO"). Solche Bestimmungen sind international üblich, das TRIPS-Handelsabkommen über geistige Eigentumsrechte verlangt sie sogar. Unüblich ist bloß, dass das österreichische Recht auch für die Durchsetzung des Ersatzes ein summarisches Verfahren vorsieht, in dem ein vereinfachter Schadensnachweis ausreicht.

Unabwägbares Risiko

Während anderswo Risiko und Nutzen einer einstweiligen Verfügung einigermaßen abgeschätzt werden können, ist das in Wettbewerbsverfahren häufig nicht der Fall. Weder verfügt ein Antragsteller über interne Unternehmensdaten seines Gegners, die entscheiden, ob ein vermeintlich wettbewerbswidriges Handeln volkswirtschaftlich hinnehmbar ist, noch kann er dessen drohende Schäden abschätzen. So steht er vor der schmerzhaften Wahl, gleich an der Wettbewerbsbeschränkung oder später an Ersatzpflichten zugrunde zu gehen.

In einer aktuellen Entscheidung (16 Ok 9/03 vom 15. 12. 2003, siehe auch DER STANDARD, 15. 1. 2004) hat der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht auf diese Gefahr reagiert. In der Wettbewerbsklage der Standard Verlagsgesellschaft gegen die Mediaprint entschied der OGH, dass die besondere Ersatzpflicht auf einstweilige Verfügungen in Kartellrechtssachen in den meisten Fällen keine Anwendung findet. Denn die Durchsetzung des Kartellrechts liege im öffentlichen Interesse und wäre durch die strenge Haftung des § 394 EO empfindlich beeinträchtigt, ebenso die Tätigkeit der Bundeswettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts. Obwohl DER STANDARD im Wettbewerbsverfahren letztlich unterlag, wies der OGH die millionenschwere Schadenersatzforderung der Mediaprint ab. Für vorsätzliche Schäden und Schäden durch Prozessbetrug oder missbräuchliche Prozessführung wird natürlich weiterhin gehaftet.

In seiner Begründung verwies der OGH auf die nur kurze Zeit gegoltene Möglichkeit eines amtswegigen Einschreitens des Kartellgerichts. Gerade weil dieses Mittel nie eingesetzt wurde, ist der freie Wettbewerb auf die Tätigkeit der Davids angewiesen. (Aurelius Freytag, DER STANDARD Printausgabe, 27.1.2004)