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Nachbildung eines Neandertalers auf Basis eines rund
70 000 Jahre alten Schädelstücks aus Warendorf in Westfalen.

Foto: dpa/Rademacher
New York - Der Neandertaler ist tatsächlich kein direkter Vorfahre des modernen Menschen. Zu diesem Schluss kommen Wissenschafter der Universität New York nach einer umfangreichen Analyse von Schädeln verschiedener Primaten-Arten. "Die Unterschiede sind einfach zu groß", sagte Forschungsleiterin Katerina Harvati. Die Anthropologin will damit einen endgültigen Schlussstrich unter die jahrzehntelange Debatte über eine mögliche Artenverwandtschaft des Neandertalers zum modernen Homo sapiens ziehen.

Vor wenigen Tagen hatten britische Wissenschafter Harvatis These mit anderen Methoden indirekt bestätigt: Der Neandertaler fiel der eiszeitlichen Witterung 30.000 Jahre vor dem Auftauchen einer völlig neuen Gruppe des Homo sapiens zum Opfer. (DER STANDARD berichtete.)

Schädelanalyse

Die New Yorker Anthropologen analysierten rund tausend Schädel von modernen Menschen, Neandertalern und elf heute lebenden Primaten-Arten. Die Forscher bestimmten je 15 Standard-messpunkte auf den Schädeln. Im 3D-Verfahren legten sie die spezifischen Punkt-Anordnungen der Arten übereinander und lasen daraus Formunterschiede ab.

Aus den Daten erklärten die Wissenschafter den Verwandtschaftsgrad der Arten: Die Unterschiede zwischen Neandertalern und modernen Menschen waren größer als jene zwischen Spezies und Sub-spezies. Mensch und Neandertaler seien mindestens so verschieden wie verwandte Primaten-Arten, betonte Anthropologin Harvati.

Fred Bookstein, Mathematiker und Spezialist für dreidimensionale Datenauswertung an der Uni Wien und der Universität Michigan, sieht methodische Probleme in der Studie. So ist in der Anthropologie die Auswertung mit Messpunkten eher obsolet, Kurvenberechnungen seien das gängigere Verfahren. Außerdem würde auf die - ausschlaggebenden - Größenunterschiede zwischen den Schädeln zu wenig eingegangen, gab Bookstein im Gespräch mit dem STANDARD zu bedenken. Horst Seidler vom Institut für Anthropologie in Wien hält Harvatis Publikation für "provokant. Sie liefert aber den nötigen Input für eine intensivere Diskussion". Es wäre jedoch "zu früh, um von einem Schlussstrich in der Debatte zu sprechen". (Jan Marot/DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2004)