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Gedenktag im ehemaligen Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen im Norden der deutschen Bundeshauptstadt Berlin.

Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann
Berlin/Rom - Anlässlich des diesjährigen Holocaust-Gedenktages haben der Präsident des deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse (SPD), und die französische Politikerin Simone Veil zum gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus in Europa aufgerufen. Niemand dürfe dulden, dass die Zugehörigkeit der Juden zu Europa in Frage gestellt werde, sagte Veil bei einer Gedenkstunde am Dienstag im Bundestag in Berlin. Thierse betonte: "Wenn im Zuge der politischen auch die kulturelle Integration Europas vorankommen soll, dann kann das nur auf der Grundlage einer europäischen Kultur der Erinnerung gelingen." Mit der Gedenkstunde wird alljährlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Jänners 1945 gedacht.

Aufruf zu gemeinsamem, europaweitem Kampf gegen Antisemitismus

Veil, die Auschwitz überlebte und früher Präsidentin des EU-Parlaments war, sagte bei der Gedenkstunde: "Europa muss mit beispielhafter Entschlossenheit jegliches Wiedererstarken des Antisemitismus anprangern und bekämpfen, welche Form auch immer er annimmt, welchen Vorwandes er sich auch immer bedient." Es gehe auch um die Kraft und die Zukunft Europas. "Denn die Geschichte hat uns gezeigt, dass das Aufflammen des Antisemitismus oft Symptom eines gesellschaftlichen Unbehagens, einer Krise der demokratischen Vitalität ist."

Thierse sagte, es könne zwar noch lange dauern, bis überall in Europa ein offener, vorurteilsfreier und verantwortungsvoller Umgang mit der wechselvollen Geschichte möglich werde. Doch gerade deren schwierigste Kapitel könnten ohne europäische Perspektive nicht angemessen erforscht werden. Dazu gehöre auch die Vertreibung als Folge des Holocausts. Eine grenzüberschreitende Aufarbeitung des Holocausts werde jungen Menschen deutlich vor Augen führen, dass die positiven Werte und Traditionen Europas keine Selbstverständlichkeit seien.

Thierse: Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus

Thierse verwies darauf, dass am 27. Jänner aller Opfergruppen des Nationalsozialismus gedacht werde. Dies seien vor allem die Juden, aber auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Kriegsgefangene, Deserteure, Behinderte sowie politische Häftlinge. "Sie alle haben das gleiche Recht auf Anerkennung und würdigendes Gedenken." Thierse verwies in seiner Rede auf die sowjetischen Soldaten, die am 27. Jänner 1945 in Auschwitz nur noch 7.600 Überlebende vorgefunden hätten, dafür aber 348.820 Männeranzüge und 836.525 Frauenkleider. Das seien die Dokumente der Entmenschlichung und planmäßigen Ermordung gewesen.

Veil wandte sich dagegen, den Antisemitismus mit jenen Leiden zu rechtfertigen, für die Kommunisten in der früheren Sowjetunion die Verantwortung tragen. "Zu einem Zeitpunkt, wo Europa sich nach Osten öffnet, sind diese Verzerrungen in höchstem Maße alarmierend, denn diese vorgeblichen geschichtlichen Kontroversen treffen die Identität des zukünftigen Europa ins Mark." Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann hatte im Herbst einen Skandal ausgelöst, weil er in einer Rede vor allem jüdisch-stämmige Bolschewisten für Verbrechen während der kommunistischen Revolution in Russland verantwortlich gemacht hatte. Er hatte auch von Juden als "Tätervolk" gesprochen.

Auschwitz als Symbol für Völkermord

Auschwitz steht symbolhaft für den Völkermord und die Millionen Menschen, die unter dem Nazi-Regime entrechtet, verfolgt, gequält oder ermordet wurden. Der deutsche Gedenktag ist allen Opfern gewidmet. Er soll die Erinnerung an den Naziterror wach halten. Durch systematische Verfolgung ermordeten die Nazis in ganz Europa bis 1945 etwa sechs Millionen Menschen. Mehr als 5,2 Millionen Opfer waren Juden. Der Holocaust (griechisch: holokaustos, völlig verbrannt) gilt als ein in der Geschichte einzigartiger Völkermord.

Denkmal eingeweiht

Anlässlich des Holocaust-Gedenktages wurde im Berliner Stadtteil Marzahn ein Denkmal für die während der NS-Zeit ums Leben gekommenen Zwangsarbeiter eingeweiht. Das Denkmal auf dem dortigen Parkfriedhof besteht aus einer Stele des Bildhauers Michael Klein und trägt die Aufschrift: "Zur Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie ihre Kinder aus vielen Ländern Europas 1939 bis 1945".

Italien beging "Tag des Gedenkens" an die Shoah

Auch in Italien ist am Dienstag der 27. Jänner als "Tag des Gedenkens" an die Shoah mit zahlreichen Initiativen begangen worden. Der 27. Jänner - der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Soldaten 1945 - war vor vier Jahren in Italien zum "Tag des Gedenkens" proklamiert worden. An einer Gedenkzeremonie in Rom, an der der Römische Großrabbiner Riccardo Di Segni und Israels Botschafter in Rom, Ehud Gol, teilnahmen, warnte der italienische Vizepremier Gianfranco Fini vor jeder Form von Antisemitismus.

Fini: "Erinnerung ist eine Pflicht"

Fini, der im November Israel besucht und offiziell auf Distanz zur faschistischen Vergangenheit seiner Partei, der rechten Alleanza Nazionale, gegangen war, betonte, Europa müsse sich fragen, warum "das Monster des Holocausts" möglich gewesen sei. "Die Erinnerung ist eine Pflicht, auch weil der Antisemitismus immer noch nicht ausgemerzt ist", sagte Fini.

Ciampi: "Mahnung gegen alle Formen von Hass"

Auch der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi betonte, Italien werde die Opfer der Barbarei des 20. Jahrhunderts nie vergessen. Der 27. Jänner sei eine Mahnung gegen alle Formen von rassistischem, ethnischem oder religiösem Hass, so Ciampi.

Der Präsident der jüdischen Gemeinden Italiens, Amos Luzzatto, sagte mit dem "Tag des Gedenkens" gehe es nicht darum, das Leiden so vieler Völker und Menschen von heute zu ignorieren oder unterzubewerten. Vielmehr könne die konkrete Besinnung auf das Leid der Menschen, die der Shoah zum Opfer gefallen sind, dazu beitragen, "heute Tränen und Blut zu verhindern". (APA/AP/dpa)