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Der Bus wurde beim Anschlag, der zehn Menschenleben gekostet hat, vollkommen zerstört.

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Die schreckliche Szenerie nach dem Selbstmordattentat in Jerusalem

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Die Israelis verfolgten gerade gespannt die Abwicklung des komplizierten Gefangenenaustauschs mit der Hisbollah, als die Meldung von einer schweren Explosion in Jerusalem hereinplatzte. Nach Monaten war wieder ein Selbstmordattentäter oder eine Attentäterin in die Hauptstadt durchgekommen und hatte sich in einem voll besetzten Autobus der Linie 19 in die Luft gesprengt - zehn Passagiere und Passanten wurden getötet und Dutzende verletzt.

Laut Hamas-Funktionär Abdel-Asis Rantissi war es die Vergeltung für den Zusammenstoß, bei dem tags zuvor in Gaza neun Palästinenser getötet worden waren: "Mit dieser Operation ist die Rache an jenen Mördern gelungen, die das Blut der Muslime vergießen, wie gestern beim Massaker im Viertel Seitun, das der große Terrorist verübt hat, der Verbrecher Ariel Sharon."

Palästinenserpremier Ahmed Korei ließ aber über zwei US-Vermittler plötzlich mitteilen, dass er ohne Vorbedingungen zu einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen bereit sei. Die Austauschprozedur in Deutschland wurde indessen wie geplant fortgesetzt. "Mit schwerem Herzen geben wir 400 Palästinenser frei", bestätigte ein israelischer Außenamtssprecher am Anschlagsort.

Der Anschlag ereignete sich kurz vor 9 Uhr Ortszeit in unmittelbarer Nähe der offiziellen Residenz des Ministerpräsidenten. Sharon befand sich aber gerade auf seiner Farm im Süden des Landes.

Rund eine halbe Stunde vor der Explosion waren zwei Luftwaffenjets auf dem völlig abgeschirmten militärischen Teil des Flughafens von Köln gelandet. Schon im Morgengrauen waren fast gleichzeitig die israelische Maschine aus Tel Aviv und die deutsche aus Beirut gestartet. Die erste transportierte rund 30 nicht palästinensische Gefangene, die Israel freigab - darunter die von israelischen Kommandos verschleppten libanesischen Milizenführer Abdel-Karim Obeid und Mustafa Dirani sowie der in Israel zu zehn Jahren Haft verurteilte deutsche Hisbollah-Sympathisanten Steven Smyrek.

Identifizierung

Die zweite hatte den entführten israelischen Geschäftsmann Elchanan Tennenbaum und die Leichen von drei israelischen Soldaten an Bord. Über einige Stunden zog sich dann die stichhaltige Identifizierung der Toten hin, wovon der Handel abhing.

Der positive Abschluss in Köln um die Mittagszeit bedeutete grünes Licht für rund 400 palästinensische Gefangene - sie waren schon in der Früh in die Nähe von Übergängen zum Westjordanland und zum Gazastreifen gebracht worden und durften nun auf die andere Seite wechseln.

An der Grenze zum Libanon übergab Israel zudem die Leichen von 60 libanesischen Milizionären, die jahrelang provisorisch auf einem israelischen Friedhof begraben gewesen waren.

Die Familien der drei jungen israelischen Soldaten, die im Oktober 2000 der Hisbollah in die Hände gefallen waren, hatten sich an die Hoffnung geklammert, dass die Vermissten vielleicht doch noch am Leben sein könnten. Sie waren die Ersten, die nach der Identifizierung in Deutschland die bittere Nachricht erhielten. Doch schon zuvor hatten die Bilder aus Beirut, die die Verladung von drei massiven Särgen zeigten, alle Illusionen zerstört.

Völlig verblüfft waren die Israelis gewesen, als "Al-Manar", der Fernsehsender der Hisbollah, in der Nacht vor dem Austausch ein Interview mit Tennenbaum ausgestrahlt hatte, nachdem seit seinem Verschwinden vor mehr als drei Jahren kein Bild von ihm nach Israel gelangt war. Der 58-jährige Reserveoberst sah gesund aus, was Berichte von schweren Folterungen zu widerlegen schien: "Ich wurde fast ohne Ausnahme gut behandelt, sogar sehr gut", so Tennenbaum.

Tennenbaum gab zudem an, er habe im Libanon nach Informationen über den seit 17 Jahren verschollenen israelischen Flugnavigator Ron Arad forschen und zugleich privaten Geschäften nachgehen wollen. Tennenbaum, dem zwielichtige, sogar kriminelle Verbindungen nachgesagt werden, muss nun in Israel mit eindringlichen Verhören rechnen und wird möglicherweise vor Gericht gestellt. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.1.2004)