Eva Rossmann

Von "Zäsur", dem "Ende der Zweiten Republik" wird nun allenthalben geredet, nie mehr wieder werde etwas so sein, wie es gewesen ist. Warum eigentlich? Die handelnden Personen in der Politik sind dieselben geblieben. Nichts ließ den Eindruck entstehen, sie seien klüger - oder auch bloß anders geworden. Das angeschlossene Machtsystem von Kammern, Gewerkschaft und Industrielobbys funktioniert nach wie vor - teils gut, teils schlecht.

Deswegen wird auch Robert Menasses Idee von der Einführung eines Mehrheitswahlrechtes (STANDARD, 26. 1.) gar nichts bringen: Denn die Politik bliebe dieselbe. Und was die politischen Inhalte angeht: Haben ÖVP und SPÖ nicht schon längst die Anpassung an einen konservativ-populistischen Kurs vollzogen, immer im Bemühen, Haider zu verhindern, indem man seinen Mix an extrem wirtschaftsliberalen, verbal sozialen und radikal nationalen Ideen vorauseilend erfüllt?

Statt uns in Untergangs-, Auferstehungs-, oder gar Walhalla-Mythen zu ergehen, ist es höchste Zeit zu fragen, wozu wir den Staat eigentlich brauchen. Und daran sind dann auch die jeweiligen politischen Programme zu messen - oder neue einzufordern.

Es hat den Anschein, als sei der Staat unser aller Feind geworden. Seit längerem schon trommelt die ÖVP den Satz "weniger Staat - mehr privat". In der SPÖ kam der bezeichnendste Ausspruch von Andreas Rudas (in der ZiB 2): "Wir versuchen alles zu tun, dass wir nicht bei den Bürgern sondern beim Staat sparen." Und Haider setzt - natürlich - noch eines drauf und propagiert den massiven Rückbau des Staates - abgesehen vom Polizei- und Überwachungsapparat, versteht sich. Das Sozialsystem soll reduziert, das Pensionsalter angehoben werden und zusätzlich müssen die Steuern sinken. Schon wieder hat er die Nase vorne. Denn der Staat frisst unsere Steuergelder. Macht ihn schlanker, lasst ihn hungern!

Seltsam bloß, dass Haiders Abspecktheorien nicht einmal dort als Sparpaket kritisiert werden, wo sie ganz vordergründig die Menschen etwas kosten. Aber vielleicht hat auch das mit unserem schizophrenen Verhältnis zum Staat zu tun.

SPÖ und ÖVP - aber auch viele Medien - sind Haider jedenfalls schon viel weiter auf dem Leim gegangen, als sie es wahrhaben wollen. Je mehr Geld jemand hat, desto weniger braucht er den Staat. Herr Millionär kann sich private Kinderbetreuung leisten, Herr Millionär kann seine Kinder in teure Ganztagsprivatschulen schicken, Herr Millionär kauft sich eine hohe Zusatzpensionsversicherung . . .

Ich will keinen Bevormundungsstaat à la DDR. Es geht nicht um Abhängigkeit vom Staat, sondern um die Verwirklichung individueller Lebenschancen durch eine staatliche Infrastruktur, die allen zur Verfügung steht. Dazu braucht es eben ein Bildungssystem, das allen kostenlos zugänglich ist. Dazu braucht es ein funktionierendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel ebenso wie ein Arbeitsmarktservice, das seinen Namen verdient, und nicht eines - wie im unsäglichen SP-VP-Pakt geplant - mit beschränkter Haftung. Und es braucht einen Staat, in dem sich alle auf die Gültigkeit der Menschenrechte verlassen können.

Sparen ja, ...

Weil andauernd über das Pensionssystem diskutiert wird: Staatliche Pensionen wurden eingeführt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass private Versicherungen leichter Pleite gehen als der Staat.

Und es war die Idee eines staatlichen Pensionssystems, einen gewissen Ausgleich zu schaffen zwischen denen, die wenig und denen, die viel verdienen, einen Ausgleich für unterschiedliche Startvoraussetzungen, unterschiedliches Lebensglück und vielleicht auch unterschiedliche Tüchtigkeit - im Bewusstsein, dass in einem entwickelten Staat niemand unter die Räder kommen darf und die Gegensätze im Interesse der sozialen Sicherheit nicht zu groß werden sollten.

Private Zusatzpensionen müssen nach dem Versicherungsprinzip funktionieren. Staatliche Pensionen müssen nach dem Prinzip der sozialen Sicherheit für alle funktionieren. Aber wie sollen wir das alles finanzieren?

Erstens: Indem wir, abgestuft nach unserem Einkommen, Steuern zahlen. Zweitens: Indem endlich auch die ihren fairen Anteil an Steuern zahlen, die über große Vermögen oder über Spekulationsgewinne verfügen. Und indem die Steuerschulden eingetrieben werden. Drittens: Indem der Staat spart. Natürlich. Bürokratische Abläufe lassen sich vereinfachen. Es gibt auch unnötige Ausgaben, unnötige Dienstposten, Doppel-und Dreigleisigkeiten. Vor allem aber gibt es neun aufgeblasene Landesverwaltungen, bei denen gespart werden könnte. Viertens: Indem die Regierung Prioritäten setzt. Denn alles können wir mit einer vernünftigen Steuerquote nicht bezahlen.

... aber am richtigen Ort

Abfangjäger und Kampfhubschrauber beispielsweise ließen sich zugunsten weniger Transporthubschrauber streichen - vor dem Überfall marodierender Schweizer fürchten sich offenbar nur ein paar Offiziere in diesem Land. Dafür könnten die Kinderbetreuungsplätze endlich ausgebaut werden. Statt über hohe Krankheitskosten zu jammern müsste in eine umfassende Gesundheitsvorsorge investiert werden. Ein für alle Neueintretenden einheitliches Pensionssystem hätte den Effekt, dass es zwar keine so hohen Beamtenpensionen mehr gibt, wohl aber Pensionen, die allen Menschen ein eigen-ständiges Leben sichern.

Ich halte den Vergleich zwischen dem Staat und einem Unternehmen für verfehlt. Der Staat hat weder ein Produkt zu verkaufen, noch seinen Gewinn zu maximieren. Der Staat hat eine viel schwierigere Aufgabe zu erfüllen: Den Menschen, die in ihm leben, dadurch individuelle Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen, dass alle zu den dafür notwendigen Rahmenbedingungen beitragen.

Je besser das gelingt, desto besser wird es den 97 Prozent der Menschen in Österreich gehen, die über keine großen persönlichen Vermögen verfügen, desto besser wird es aber auch der Volkswirtschaft gehen - denn nichts ist so teuer, wie ungenützte Chancen. Auch so gesehen könnte uns eine schwarz-blaue Regierung sehr teuer zu stehen kommen.

Eva Rossmann lebt als freie Publizistin in Wien.