"Aber ich bin eben auch Mensch!" So brach es aus manchem Wissenschafter heraus, der im Rahmen einer Teilstudie zum Projekt "Theories and Commitments" zu seinem Umgang mit ethischen Problemen im Wissenschaftsalltag befragt wurde. In diesem vom Wissenschaftsfonds geförderten Projekt unter Leitung von Clemens Sedmak, Professor für Erkenntnistheorie und Religionswissenschaft an der Universität Salzburg, geht es primär um die Frage, was Wissenschaften zur Armutsbekämpfung beitragen können.

Das Projektteam will feststellen, wie in den Geistes- und Sozialwissenschaften Theorien zur Bekämpfung und/oder Beseitigung von Armut erzeugt werden können. Und ob es eine "Option für die Armen" in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gibt, ohne dass dadurch Ideologien entstehen. Ein Teil dieses Start-Projektes ging eben Fragen nach ethischen Problemen im wissenschaftlichen Alltag nach.

In 45 narrativen Interviews befragte dazu der Soziologe Daniel Bischur im Sommersemester 2003 Wissenschafter aus allen Fakultäten der Universität Salzburg. Es wurden Fragen gestellt wie: Welche Rolle spielen ethische Überlegungen in Ihrer Arbeit? Nennen Sie ethische Dilemmata oder Situationen, die ethisch herausfordernd waren. Was verstehen Sie unter Wissenschaftsethik und welche Rolle spielt diese in Ihrem Arbeitsleben? Welche wissenschaftsethischen Diskussionen sind Ihnen aus Ihrem Feld bekannt? und auch: Welche Werte halten Sie für zentral für Ihre Arbeit?

Die Analyse der Antworten ergibt das Bild einer "ethischen Landschaft" des universitären Arbeitsalltags. Es zeigt, welche Art von Verpflichtungen und welche Werte in die Wissenschaft einfließen. Neben allgemeinen ethischen Problemen der Wissenschaften, die sich im Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Normen und der Konkurrenzsituation in der Wissenschaft (wie Autorenschaft, Marginalisierungen, Plagiate, Fälschungen) ergeben, sind die Wissenschafter vor allem mit ethischen Fragen und Themen konfrontiert, die eng mit der für den jeweiligen Fachbereich typischen Wissenschaftskultur verbunden sind. Die verschiedenen Wissenschaftskulturen unterscheiden sich im Verständnis des Empirischen, der Art der Realisierung von Objektbeziehungen und in der Konstruktion und Form sozialer Arrangements; dabei kristallisieren sich konkrete Typen der ethischen Betroffenheit und des Umgangs mit ethischen Problemen entlang von unterscheidbaren Wissenschaftskulturen heraus.

Jene Fachbereiche, deren Untersuchungsgegenstand lebende Organismen sind (Pflanzen, Tiere, Menschen, Gesellschaften), sind mit ethischen Problemen besonders behaftet. Bezüglich des konkreten Umgangs mit den jeweiligen Untersuchungsgegenständen sind die Wissenschafter dann mit den unterschiedlichen ethischen Fragen - über die anzuwendende Methodik bis zum möglichen Miss- oder Gebrauch der Ergebnisse - konfrontiert. Diese Fragen stellen sie sich aber zumeist als Mensch.

Im Ausspruch "Aber ich bin eben auch Mensch!" drückt sich deutlich das Dilemma des Wissenschafters im Umgang mit ethischen Konflikten aus. Denn er ist in seiner Rolle als "Wissenschafter" den autonomen wissenschaftlichen Normen verpflichtet: Daten sollen mit wissenschaftlicher Sorgfalt erhoben und interpretiert werden; die Ergebnisse müssen für alle rational nachvollziehbar argumentiert und bewiesen werden. Diese Ideale der Wissenschaft treten jedoch in vielen Bereichen in Konflikt mit allgemeinen menschlichen Normen, denen der Wissenschafter als Mensch verpflichtet ist und die er als solche auch wahrnimmt. Als Mensch nimmt er diese Defizite wahr und muss nicht nur erkennen, dass sein wissenschaftliches Handeln "Nebenfolgen" hat, sondern vielmehr auch, dass er persönlich für sein Handeln verantwortlich ist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 1./1. 2. 2004)