Jetzt feiern sie sich also. Die radikalislamische Terrororganisation Hisbollah sieht nach dem Gefangenenaustausch in der vergangenen Woche wie die kommende Macht im Nahostkonflikt aus. Yassir Arafats Autonomiebehörde und die palästinensischen Terrorgruppen jedenfalls konnten auch mit dem Anschlag auf einen Autobus in Jerusalem nicht verbergen, dass ein wichtiger Deal wieder einmal komplett an ihnen vorbei verhandelt worden ist. Einen Teil jener Palästinenser, die sie seit Jahren vergeblich freibekommen wollten, hat jetzt die vom Iran geförderte Hisbollah nach Hause gebracht.

Selbst den "Bulldozer" Ariel Sharon scheint die Miliz weich geklopft zu haben. Kein Wunder, dass die Freude in Israel eher verhalten war – anders als im Libanon, wo sich Regierungsvertreter nicht zu fein waren, Arm in Arm mit den Mordpatronen der Hisbollah zu posieren. Aber, immerhin, es gab Freude. Darüber, dass die drei im Libanon getöteten Soldaten nach drei Jahren wenigstens zu Hause beerdigt werden können.

Doch musste dieser Preis sein? Mehr als 400 arabische Häftlinge gegen drei Leichen und einen zwielichtigen Geschäftsmann? Zyniker könnten das Zahlenverhältnis als rassistisch bezeichnen – offenbar ist ein toter Israeli mehr wert als hundert lebendige Araber. Für manche Terrorexperten ist eher der scheinbare Wandel in der israelischen Politik bedrohlich: Galt nicht bisher die Maxime, mit Terroristen werde nicht verhandelt? Und war diese Maxime nicht erfolgreich, bei all den Flugzeugentführungen und Kidnappings in den vergangenen Jahrzehnten? Und dass die Hisbollah nun plant, weitere Israelis zu entführen, um mehr Palästinenser freipres 2. Spalte sen zu können, spricht dafür, dass vor allem die Gotteskrieger von dem Deal profitieren.

Für viele arabische Medien ist jedenfalls wieder einmal bewiesen, wie leicht der zionistische Feind ins Wanken gerät. Deutsche TV-Kommentatoren prophezeiten sogar, die Hisbollah werde nun "im nahöstlichen Friedensprozess eine wichtige Rolle spielen".

Ein Zeichen . . .

In Wahrheit hat die Terrormiliz mit dem Friedensprozess so viel zu tun wie Saddam Hussein mit der Demokratisierung im Irak. Die Hisbollah hat sich nicht an den Verhandlungstisch getauscht, sondern an die Tabellenspitze der internen Meisterschaft der regionalen Terroristengruppen.

Wer dem Deal zutraut, er habe politische Auswirkungen auf die nahöstliche Wirklichkeit, irrt. Diese Wirklichkeit ist und bleibt ein kriegsähnlicher Zustand – und im Krieg tauscht man Gefangene. Der Deal ist weder ein naives Friedenssignal der Hisbollah und der Palästinenser, für die die Miliz zu handeln vorgibt, noch ein politisches Zugeständnis der Regierung Sharon. Der Austausch verdeutlicht, wie unterschiedlich die Kontrahenten über den Wert von Menschen denken. Hier ist der Westen, zu dem Israel gehört, aus Sicht des Orients verwundbar. Osama Bin Laden verhöhnte die Amerikaner schon vor Jahren als Weichlinge, weil sie ihre Somalia-Mission abbrachen, nachdem ein GI dort an ein Auto gebunden durch die Straßen geschleift wurde. Es scheint die große Schwäche unserer westlichen Gesellschaften, dass sie jedem einzelnen Menschenleben einen unschätzbaren Wert beimessen, dass der Staat Rechenschaft ablegen muss über jeden Soldaten, der zu Tode kommt. Auf das Leben Einzelner müssen weder die Hisbollah noch jene Strategen in Ramallah oder Gaza Rücksicht nehmen, die den palästinensischen Terror planen. Ihnen stehen junge Leben scheinbar unbegrenzt zur Verfügung: Menschen, die freiwillig in den Tod gehen, weil es ihnen anerzogen wurde, in Moscheen und Feriencamps.

. . . der Stärke

Noch nie hat ein Staat einen solchen Preis bezahlt, um vier Staatsbürger heimzuholen. Und für den seit 1986 verschollenen Luftwaffennavigator Ron Arad soll der Preis noch höher sein. Dennoch: Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern es zeugt von Stärke, für Menschen, die im Einsatz für den Staat getötet wurden, Feinde laufen zu lassen – und seien Diebe und Mörder darunter.

Die Bilder der trauernden Familien, selbst die inszenierten Ehrungen, zeigen, dass Israels Gesicht auch unter dem ständigen Terror nicht zur militärischen Fratze geworden ist. Engagement der Politik für jene, die sie mit auf dem Gewissen hat, ist arabischen Regierungen fremd. Oder kann sich jemand ernsthaft vorstellen, der Libanon hätte vierhundert Israelis überstellt, um einen halbseidenen Unternehmer und drei gefallene Soldaten aus einem libanesischen Dorf dafür zurückzuholen?

Noch gibt es viel zu wenige Araber, die das verlangen. Aber das muss nicht so bleiben.

Abseits aller militärischen Taktik ist dieser Austausch, sind die Bilder in den Nachrichtensendungen ein Erfolg für Israel und für den Westen gewesen. Sie wurden auch in arabischen Wohnzimmern gesehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.2.2004)