Gerfried Sperl Ein Bild, das nicht zu den spektakulären des Jahres 1998 zählt: Das Foto zeigt Senator George Mitchell, den Peacemaker in Nordirland, Botschafter Dennis Ross, der Ärgeres im Nahen Osten verhindert hat, und Richard Holbrooke, den Hauptverantwortlichen für die Abwesenheit des Kriegs in Bosnien, im Treaty Room des Pentagon. Warum dieses Fotodokument an der Spitze eines Kommentars zu den außenpolitischen Entwicklungen der jüngsten Zeit steht? Weil wir immer nur darüber reden, was nicht passiert, und zuwenig schätzen, was von Konfliktmanagern in zeitraubenden, aufreibenden Marathon-Gesprächen erzielt wird. Rückschlägen wie den immer wieder aufflackernden Kämpfen im Kosovo standen 1998 sogar Erfolge gegenüber, wie zuletzt die Übereinkunft, Raketen statt in Zypern auf dem griechischen Festland zu stationieren. Die nötigen diplomatischen Schritte entsprachen der Strategie der Nato neu, wie sie vom Spanier Solana, dem Generalsekretär, forciert wird: Präferenz für die Vorsorge, damit sündteure Krisen erst gar nicht entstehen. Abstimmung mit der UNO, damit Rußland, China und die arabische Welt nicht entfremdet werden. Das soll uns nicht davon abhalten, auch die negative Bilanz des Jahres 1998 zu ziehen. Denn genau das, nämlich Frieden durch Mühe, scheint durch die vorweihnachtlichen Angriffe der USA und Großbritanniens auf den Irak in Frage gestellt. Durch UNO-Resolutionen waren sie nur noch entfernt gedeckt. Faktum ist, daß der Bombenbefehl Clintons, mitten in den Impeachment-Debatten, aber auch mitten hinein in eine Sitzung des Sicherheitsrats, ein folgenschwerer Schritt war: die Abkehr von der 1990 unter George Bush proklamierten "Neuen Weltordnung", in deren Zentrum die Entscheidungen der Vereinten Nationen standen. Daß der in Europa als "neuer Sozialdemokrat" gefeierte Tony Blair mitgemacht hat, noch dazu mit einer Rede neben dem Christbaum, verheißt für die Zukunft der EU nichts Gutes. Der britische Premier ist kein sicherer Kantonist. Einerseits hat er für den EU-Gipfel in Pörtschach die britische Bereitschaft signalisiert, in enger Kooperation mit der Nato eine europäische Verteidigung aufzubauen, andererseits hat sich hinter seinem Hihi und Haha auf dem Wiener Gipfel bereits das Wissen um den bevorstehenden Angriff auf den Irak verborgen. Das Vertrauen in die Spitzenpolitik wird dadurch nicht gefördert. Die Einführung des Euro forciert ohnehin eine ganz andere Einstellung, weit verbreitet unter Geschäftsleuten und Bankmanagern. Daß man lieber der Wirtschaft die Führung der Weltpolitik überlassen sollte, weil die Großfusionen auch ihr Gutes hätten. Die Wirtschaft werde zum Strukturwandel gezwungen, was längerfristig auch den Arbeitssuchenden nütze. Neue Arbeit durch neue Erwerbsvarianten. Die Politik braucht neue Begründungen. Eine davon wäre ihre gestaltende Rolle in Brüssel. Aber wie? Nach den Europawahlen im Juni wird es zum Jahresende eine neue Führung geben. Wer ein starkes Europa möchte, das heißt einen kräftigen Euro ebenso wie eine europäisch dominierte "Sicherheitsarchitektur", wird sich eine Ablöse des eher schwachen Jaques Santer und seine Ersetzung durch den Italiener Romano Prodi wünschen. Und noch viel wichtiger: Europa braucht gleichzeitig eine Reform der Institutionen und deshalb eine Legitimation der Kommission durch das Europäische Parlament. Dann können so gute Leute wie der Wettbewerbskommissär Karel van Miert oder der Landwirtschaftskommissär Franz Fischler jene Strukturen schaffen, die nationale (und leider auch nationalistisch motivierte) Interessen im Zaum halten. Die Weltordnung braucht zweierlei: Eine starke und respektierte UNO sowie eine erfolgreiche EU-Regierung in Brüssel. Auch als Rezept gegen den Wildwuchs der Globalisierung. Lesen Sie am Montag eine Analyse der Innenpolitik. (DER STANDARD, Samstag/Sonntag, 2./3. Jänner 1999)